Von der Westzone zum Kalten Krieg
Restauration und Gewerkschaftspolitik im Nachkriegsdeutschland
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Restauration und Gewerkschaftspolitik im Nachkriegsdeutschland
Längst wird durch die Apologeten der 'modernen' und 'globalisierten' Gesellschaft dem Streik als Form der Austragung von Tarifkonflikten die Zukunftstauglichkeit abgesprochen. Wirtschaftsexperten, Zeitungskolumnisten und Arbeitgebervertreter sind sich einig, dass Streiks 'überholte Kampfrituale' oder 'unintelligente Mittel' (Gesamtmetall-Chef Kannegiesser) seien. Die Gewerkschaften können sich diesem Urteil selbstverständlich nicht anschließen, schließlich ist der Arbeitskampf einer der 'Urgründe' der Organisation. Aber es steht die Frage nach der Streikfähigkeit unter veränderten Handlungsbedingungen im Raum – und das nicht erst seit dem 'Flexi-Streik' der IG Metall in der Tarifrunde 2002. Seit mehr als zwei Jahrzehnten gibt es in den Gewerkschaften eine Debatte über Arbeitskampfkonzepte, Streikstrategien und effektive Kampfformen. Eine Debatte, die auch eine Veränderung der Arbeitskampfpraxis bewirkt hat: So hat die IG Metall insbesondere unter den Anforderungen des 'Antistreik'-Paragrafen 146 SGB III (ex 116 AFG) ihre Strategien in den letzten Jahren stark modifiziert. Aber nicht nur objektive Determinanten der Kampffähigkeit werden angesprochen, sondern mit dem Wertewandel im Bewusstsein der Gewerkschaftsmitglieder und Individualisierung auch die subjektive Dimension. Wie hat die IG Metall auf diese Anforderungen reagiert, und wo liegen die Entwicklungsperspektiven für die Zukunft?
Aktualität kollektiver Widerstandserfahrungen
Eine Gesellschaft, in der sich »die meisten Menschen nicht mehr um ihre Mitmenschen kümmern«, zerfällt (so der Befund einer aktuellen Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung). Um dem entgegenzuwirken, wird das große »Wir« beschworen. Und so wurde wieder an »Solidarität« appelliert – Hilfe in Zeiten von Pandemie und Klimakrise, Krieg und Inflation. Doch tatsächlich ist Solidarität etwas völlig anderes als Hilfsbereitschaft. Solidarität heißt, Spaltungen zu überwinden, Stärke aus der Hintanstellung von sozialen oder ethnischen Differenzen zu gewinnen. Genau hier liegt das Problem: Konkurrenz, Fragmentierungen, Leistungsdruck, fehlende Austauschmöglichkeiten, Individualisierung, mobile Arbeit stellen Restriktionen dar, die Solidarisierung zunehmend erschweren. Und dennoch: Solidarität gibt es – vor allem als Widerstandserfahrung: unter Servicekräften in Kliniken, die gleichen Lohn für gleiche Arbeit fordern; unter den Beschäftigten in Warenhäusern, die sich Filialschließungen in den Weg stellen; unter migrantischen Arbeiter*innen in Logistikzentren, die ihr Recht auf Wahl eines Betriebsrats durchsetzen; in Belegschaften, die sich gegen die Schließung ihres Betriebes auf die Hinterbeine stellen; unter IT-Spezialisten, für die Individualität und kollektives Handeln kein Gegensatz sind. Richard Detje und Dieter Sauer haben unterschiedliche Fälle in Industrie- und Dienstleistungsbereichen untersucht, in denen nach herkömmlichem Verständnis wenig Zusammenhalt zu erwarten ist – in denen aber Aktionen des solidarischen Widerstands und praktische Lernprozesse in Richtung Solidarität stattgefunden haben. Grundlage ihrer Untersuchung sind Interviews, Gruppendiskussionen und Befragungen. Ihnen ist es wichtig, die Befragten und Protagonist*innen selber zu Wort kommen zu lassen, damit exemplarisch nachvollzogen werden kann, wieviel Solidarität in der Arbeitswelt steckt. Da Solidarität kein Zustand, sondern ein praktischer Lernprozess ist, diskutieren sie abschließend Ergebnisse solidarischer Praxen, die über jeweilige Fälle hinaus inspirierend und handlungsleitend sein können.
Demoskopische Befragungen zeigen widersprüchliche Ergebnisse zur Krisenwahrnehmung in den letzten Jahren. Während der wirtschaftliche Aufschwung 2010-2012 in einigen Umfragen die Erinnerung an den vorherigen Einbruch verdrängt hat, glauben andere, dass die 'eigentliche Krise' noch bevorsteht. Auch die politische Bewertung schwankt zwischen Erfolg und Misserfolg. Das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) und WISSENTransfer haben qualitative Befragungen durchgeführt, die neue Erkenntnisse liefern: Hinter den wirtschaftlichen Schwankungen steht das Gefühl einer 'permanenten Krise', die soziale Unsicherheit erzeugt. Selbst während des Aufschwungs bleibt die Situation für Beschäftigte angespannt; anstelle von Arbeitsplatzunsicherheit wächst der Druck auf Arbeits- und Leistungsbedingungen. Es zeigt sich eine Kluft zwischen gesellschaftlicher und persönlicher Lage. Während Gewerkschaften teilweise an Bedeutung gewinnen, nimmt die Abwertung politischer Akteure zu. Erfolgreiches Krisenmanagement wird nicht anerkannt. Der neoliberale Staat wird als entfremdet und postdemokratisch wahrgenommen, ohne Hoffnung auf Besserung. Diese Studie ergänzt die 2011 veröffentlichte Untersuchung "Krise ohne Konflikt?" und bietet vertiefte Einblicke in Betriebs-, Alltags- und Gesellschaftsbewusstsein.
Zwei Jahre Krisenangst – war es das? Wie wird die Krise, die Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre wach werden ließ, wahrgenommen und gedeutet? Wie wird sie verarbeitet von denen, die die Zeche für die Rettungsprogramme von Banken und Unternehmen 'mit der harten Währung ihrer Existenz' (Habermas) zahlen sollen? Generalstreiks, Boss-Napping, brennende Autos in den Nachbarländern – aber hierzulande 'Krise ohne Konflikt'!? In diesem Buch werden Interviews und Gruppendiskussionen mit Vertrauensleuten und Betriebsräten aus den von der Krise 2008-2010 am stärksten betroffenen Branchen ausgewertet. Über die Ursachen und Folgen der Krise, über das Krisen- und Nach-Krisen-Regime in den Betrieben, über die Leistungen 'der Politik' und die Perspektiven der Gesellschaft. Die Botschaft: Die Konflikte sind in der Krise nicht stillgelegt – Ohnmacht gegenüber den immer schwerer zu durchschauenden ökonomischen Verhältnissen führt zu Wut und Angst, aber auch zu Protest und Widerstand. Unter dem Kessel brodelt es, der Druck steigt. Zumal die Folgen erst noch abzuarbeiten sind. Nicht nur bei den Staatsschulden, sondern in den Betrieben, deren Zumutungen an Systemgrenzen stoßen. Deutlich wird, weshalb Widerstand und Protest bislang wenig manifest wurden, und deutlich wird auch, in welchem Ausmaß das 'politische System' diskreditiert ist. Das verstärkt zunächst Ohnmacht – aber das kann sich ändern.
Massenarbeitslosigkeit, betriebliche Abwehrkämpfe und politische Defensive prägen den Alltag der gewerkschaftlichen Interessenvertretung. Zu Recht wird die Frage aufgeworfen, welche Chancen überhaupt noch bestehen, sich aktiv in den Prozess der qualitativen Veränderung von Arbeit einzumischen. Von Humanisierung der Arbeit ist keine Rede mehr. Kurzfristökonomie sowie Standort- und Kostensenkungswettbewerb lassen heutzutage die Qualität der Arbeit zu einer Restgröße schrumpfen. Unter dem Slogan „Hauptsache Arbeit“ werden Schutzniveaus dereguliert mit der gewollten Folge, dass auch die Ansprüche der Menschen, die Arbeit haben oder in Arbeit wollen, weiter abgesenkt werden. In dieser Situation wird in den Gewerkschaften wieder intensiver darüber nachgedacht, welche strategischen und praktischen Ansätze aus der Defensive herausführen können. Auch der Blick der Sozialwissenschaften auf die Umbrüche in der Arbeitswelt ist erneut geschärft worden. Die Beiträge dieses Bandes, die von sehr unterschiedlichen Handlungsperspektiven geprägt sind, machen deutlich, dass in der IG Metall nicht nur neue konzeptionelle Grundlagen gewerkschaftlicher Arbeitspolitik gelegt wurden, sondern auch Elemente einer strategischen Neuorientierung erprobt und diskutiert werden. Diskussionen über Ansatzpunkte und Chancen einer zeitgemäßen Arbeits- und Gewerkschaftspolitik haben Aufwind erhalten.