Komparatistik 2017
Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft






Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Verbindlichkeit zwischen Recht, Religion und Literatur
Literarische Aneignung einer frühneuzeitlichen Institution/Heft 1/2
Bis in die Frühe Neuzeit ist die Ehe die Institution, an der die göttliche Organisation menschlichen Zusammenlebens abgelesen werden kann. Mit Luthers Traktat „Von Ehesachen“ gilt die Ehe jedoch auch als „öffentlicher Stand“ und als mikrologischer Ausweis eines makrologischen Ordnungsmodells, dessen Einfluss auf die Literaturgeschichte noch nicht vollständig erschlossen ist. Das Schwerpunktheft ergänzt die etablierten Forschungsdiskussionen in der Mediävistik sowie der Kultur- und Sozialgeschichte. Aus komparatistischer, neuphilologischer und neugermanistischer Sicht werden sowohl kanonische als auch lange vernachlässigte Texte betrachtet. Die Beiträge untersuchen die spezifischen Leistungen der Literatur und die literarischen Aneignungsmodalitäten innerhalb eines historisch komplexen Gefüges. Es wird erforscht, wie sich die Ehe und verwandte Konzepte von Liebe, Familie oder Haushalt in das strenge Gattungssystem des Druckzeitalters einfügen, wie ältere Erzähltraditionen aufgenommen und transformiert werden und wie sich die „Ehesachen“ einen Status als sinnstiftendes Element des literarischen Diskurses erarbeiten. Die Breite der Fallstudien vermittelt Einblicke in die wissensgeschichtlichen Verflechtungen der Ehe zwischen Literatur, Theologie und Rechtslehre sowie die Dynamiken, die sich von 15. bis zum frühen 18. Jahrhundert in den europäischen Kulturen ergeben.
Joachim Harst ist wissenschaftlicher Angestellter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Christian Moser (Abteilung für Komparatistik, Universität Bonn). Kristina Mendicino promoviert im Fach Germanistik an der Yale University (New Haven) mit einer Dissertation zum Thema Interrupting the Origin: Hegel, Humboldt and Hölderlin’s Prophecies of Language.
»Heilstheater« enthüllt eine bislang kaum bekannte »barocke« Seite von Kleists Schreiben. Harst untersucht ausgewählte Texte von Kleist und Gryphius mit der Frage, welche literarischen Figuren für die Verhandlung und Einlösung von Heilsversprechen eingesetzt werden. Ausgehend von einer genauen Analyse der theatralen Schreibstrategien der Berliner Abendblätter und der »Gottesurteile«, diskutiert die Studie die medialen Erscheinungsbedingungen Gottes. Der problematische, aber auch produktive Zusammenhang von Theater und Theologie im Trauerspiel wird herausgearbeitet. Die Problematik des theatralen Heilsbeweises wird – so schließt die Arbeit – von Kleists Der zerbrochne Krug durchgearbeitet, der in der figuralen Überblendung von Adam und Ödipus die biblische Katastrophe in ein abgründiges »Lustspiel« verkehrt.
›Kunst ist Fetischismus‹ - dieser Vorwurf gegenüber einer Kunst, die sich scheinbar in sich selbst verschließt und nur noch eine quasi-religiöse Verehrung zuläßt, muß in seiner ganzen Konsequenz gedacht werden. Wird doch Fetischismus als polemisches Schlagwort häufig um so freimütiger verwendet, je unklarer seine Bezeichnung ist. Auch die Kulturwissenschaften, die sich augenblicklich um seine Aufarbeitung bemühen, konnten bislang keine befriedigende Bestimmung dieses polyvalenten Begriffs geben. Stellt man dagegen den 'Text' in den Mittelpunkt der Untersuchung, so erklärt sich Fetischismus als ein literarischer Begriff, der nicht nur die Spannung der Sprache zwischen Psychoanalyse und Ökonomie, sondern ebenso die Körperlichkeit und Erotik des Wortes neu faßt: Kunst ist Fetischismus.