Im Jahre 1710 unterzeichneten die baltischen Ritterschaften, die städtischen Magistrate und die schwedischen Garnisonen der Ostseeprovinzen Kapitulationsurkunden, die von Zar Peter I. später konfirmiert wurden. Mit ihnen wurde die Macht an der östlichen Ostseeküste von Schweden auf Russland übertragen. Zugleich etablierten sie einen halb autonomen Status der Provinzen im russischen Staatsverband, der später zum Stein des Anstoßes im Verhältnis von imperialem Zentrum und Peripherie werden sollte. Die Autoren dieses Bandes untersuchen den europäischen Kontext der Kapitulationen, ihre Auswirkungen auf den Alltag in den Ostseeprovinzen sowie ihre widersprüchlichen historischen und juristischen Auslegungen.
Die Massenkultur in der Sowjetunion der 1930er Jahre präsentierte das Land fern von der Realität als Paradies für jedermann. Sie war Propaganda für das System und Selbstpräsentation des Landes in einem. Bis heute populär sind die Melodien der Klassiker des Star-Komponisten Isaak Dunaevskij, dessen Musik in Verbindung mit den berühmten Filmkomödien Grigorij Aleksandrovs das verschleierte Bild der Zeit prägt. „Das Leben ist besser und fröhlicher geworden“ - diese Losung Stalins vom 1. Dezember 1935 blieb charakteristischerweise auch in den Jahren des Terrors als eine der Konstanten stalinistischer Lebenswelten gültig. Die Texte der Massenlieder, die in diesem Buch untersucht werden, schildern ein fröhliches, vom Enthusiasmus des Aufbaus, aber auch von ständiger Wehrbereitschaft geprägtes Land, das unter der Führung des weisen „Vaters“ Stalin ein neues Kapitel in der Geschichte der Menschheit aufschlägt. In diesem Land der Lieder wird das fröhliche Lied zum eigentlichen Helden, das die Menschen motiviert; diese wiederum singen, kämpfen und lieben mit infantiler Begeisterung, die das Land ideell zu einem singenden Pionierlager werden lässt. Nach einem knappen Überblick über Musik in Revolution, Bürgerkrieg und während der Phase der „Neuen Ökonomischen Politik“ konzentriert sich die Darstellung auf die Massenlieder der 1930er Jahre. Näher untersucht werden die dominierenden Motive ihrer Texte - „Stalin“, „Heimat/Vaterland“, „Das Sowjetvolk“, Raum und Grenzen„ sowie “Der Feind„ -, von denen 27 im Buch im Original mit einer deutschen Übersetzung dokumentiert sind. Das Buch wendet sich an Slawisten, Historiker und Kulturwissenschaftler und versteht sich als Anregung, sich dem Mythos des Stalinismus (auch im universitären Unterricht) von dessen “fröhlicher" Seite her zu nähern, ohne den Terror und die Strangulierung der Öffentlichkeit auszublenden.
Legitimations- und Repräsentationsstrategien russischer Herrschaft in den Ostseeprovinzen im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Das Verhältnis Russlands zu den baltischen Staaten ist seit Jahrhunderten ein zentrales Problem der nordosteuropäischen Geschichte. Diese Studie untersucht erstmals den Wandel der russischen Wahrnehmung der Ostseeküste im 19. Jahrhundert. Unter Nikolaus I. galt die Region noch als wertvollster Besitz der Krone, der das russische Imperium zu einem europäischen Staat machte. Mit dem Aufkommen des russischen Nationalismus kam es jedoch zu einer bemerkenswerten Verschiebung. Ab der Mitte des Jahrhunderts, besonders nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871, betrachteten russische Intellektuelle die Region als potenzielle Bedrohung für das Imperium. Diese Umwertung wird durch den mentalen Aneignungsprozess verständlich, bei dem russische Eliten die Ostseeprovinzen als legitimen russischen Besitz mit geografischen, historischen und kulturellen Argumenten definierten. Diese mentale Russischmachung, die weitreichender war als spätere „Russifizierungspolitiken“, ließ die deutsche Vormacht illegitim erscheinen und machte Esten und Letten zu potenziellen Verbündeten für die russische Sache. Neben intellektuellen Auseinandersetzungen nutzt die Studie Reiseberichte, literarische und ethnografische Arbeiten sowie Erinnerungen, um das Bild des späten Zarenreichs von Est-, Liv- und Kurland zu beleuchten.
Imperiale Strategien der Macht und kulturelle Wahrnehmungsmuster (16. bis 20. Jahrhundert). Russia on the Baltic. Imperial Strategies of Power and Cultural Patterns of Perception (16th – 20th Centuries)
Die estnische Hauptstadt Tallinn, das alte Reval, geht in seinen Ursprungen auf eine estnische Burg zuruck, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts von Danen erobert wurde. Seit ihrem Beitritt zur Hanse fuhrte die Stadt trotz wechselnder Oberherrschaften ein Eigenleben, das vor allem durch Handel und Handwerk gepragt war. Ungeachtet der Zugehorigkeit zu Schweden und zum Russischen Reich dominierten die deutschen Burger die stadtischen Belange bis in das 20. Jahrhundert hinein. In der Stadt lebten neben Esten und Deutschen auch Schweden, Finnen, Russen und Juden. Nach dem Sturz des Zaren wurde Tallinn fur zwei Jahrzehnte Hauptstadt der Republik Estland. Infolge des Hitler-Stalin-Paktes und der sowjetischen Annexion des Landes lag Tallinn dann fur ein halbes Jahrhundert jenseits des Eisernen Vorhangs. Nach der Singenden Revolution und dem Zusammenbruch der UdSSR wurde es wieder zur Hauptstadt Estlands. Heute ist die mittelalterlich gepragte Altstadt UNESCO-Weltkulturerbe, und im Jahre 2011 wird Tallinn Kulturhauptstadt Europas sein.
Dieser Band der Reihe «Colloquia Baltica» versammelt Beiträge zur Kultur und Geschichte der Völker am Finnischen Meerbusen, die aus einer Tagung im November 2004 hervorgegangen sind. Autorinnen und Autoren aus Deutschland und Estland beschäftigen sich in ihren Texten mit der Hanse, dem Schwedischen Großreich, den Wanderungsbewegungen der Deutschen, der Auseinandersetzung zwischen der estnischen und der deutschen Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg sowie der Osterweiterung der EU. Abgerundet wird der Band mit einem Artikel über Geschichte und Vermächtnis der Stadt Narva an der estnisch-russischen Grenze. Gerade für das Verständnis der gern so genannten «Osterweiterung» Europas – als ob Europa zuvor an der Elbe aufgehört habe – sind historische Grundlagen wichtig. Dieser Band liefert eine Orientierungshilfe für all diejenigen, die sich für die Region des Finnischen Meerbusens interessieren, in der sich auf besondere Weise historische Entwicklungslinien gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gekreuzt haben.
Karsten Brüggemann stellt dar, wie es dem im Kontext der Russischen Revolution entstandenen estnischen Nationalstaat gelang, sich trotz nur halbherziger Unterstützung seitens der westlichen Ententestaaten und der isolierten Lage des Landes durch geschicktes Taktieren gegen die übermächtigen Feinde der Unabhängigkeit Estlands zu behaupten und ungeachtet der permanenten Bedrohung zugleich einen Staat nach westlichem Vorbild aufzubauen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen nicht so sehr die militärischen Aspekte des Kampfes der baltischen Republik um ihre staatliche Souveränität, sondern die politischen Bemühungen der Esten im Spannungsfeld zwischen den beiden Parteien des Russischen Bürgerkriegs, den mit Unterstützung des Deutschen Reiches im Baltikum kämpfenden Baltendeutschen und den gegenüber ihren „weißen“ Verbündeten zur Rücksicht gezwungenen Briten und Franzosen. Karsten Brüggemann wendet sich an alle Historiker, die sich mit der Geschichte des Baltikums, der Russischen Revolution und des nachfolgenden Bürgerkrieges in seiner internationalen Dimension sowie der „weißen Bewegung“ beschäftigen.