Die Revolutionen in Europa beginnen immer auf StraÃen und PlÀtzen. TrÀger sind die unteren Schichten der Gesellschaft von den Tagelöhnern bis zu den Handwerksmeistern, öfters unterstÃŒtzt von Journalisten, Studenten und meist freiberuflichen Akademikern. Diese liefern in der Regel das ideologische RÃŒstzeug, sie sind manchmal die intellektuellen Antreiber, gelegentlich die Strategen des StraÃenkampfes. Dennoch ist das verbindende Element aller UmwÀlzungen in der ersten HÀlfte des 19. Jahrhunderts deren bÃŒrgerlicher Charakter. Das BÃŒrgertum bereitete sie dadurch vor, dass es seine Ideen der Neuordnung von Staat und Gesellschaft in Klubs und Medien propagierte und damit die LegitimitÀt der monarchischen und aristokratischen FÃŒhrungsrolle untergrub. Wenn auch nicht allein und auch nicht durchgehend, so hat es doch ÃŒberwiegend den Gang der Entwicklung bestimmt. Dazu dienten ihm nicht zuletzt die Provisorischen Regierungen. Sie waren wie auch die Parlamente seine Institutionen. Mit ihnen strebten sie das genuin bÃŒrgerliche Revolutionsziel an: die Neuordnung des politischen Verbandes durch eine Verfassung konstitutionellen Typs... Da das BÃŒrgertum nicht auf eine radikale Umgestaltung der MachtverhÀltnisse aus war, blieb der Adel in seinen EntwÃŒrfen ein Faktor der Politik. ... Man könnte einen ironischen Widerspruch darin sehen, dass keine Revolutionsregierung im Europa der ersten HÀlfte des 19. Jahrhunderts eine Institution von RevolutionÀren war. Dies gilt dann, wenn die Bezeichnung "RevolutionÀre" im landlÀufigen Sinne verwendet wird fÃŒr die in den StraÃen fÃŒr die Besserung ihres Loses kÀmpfenden Massen. Zwischen dieser meist unorganisierten, wenig planvoll vorgehenden und vor Gewalt nicht zurÃŒckschreckenden Revolution und der institutionalisierten bÃŒrgerlichen bestand ein dialektisches VerhÀltnis. Es trat unmittelbar in der Beziehung dieser Massen zu den Revolutionsregierungen zutage. Deren Durchschlagskraft hing, solange gegen die alten KrÀfte gekÀmpft wurde, ganz entscheidend von dem Druck ab, der von den Unterschichten ausging. War der Gegner ÃŒberwunden, dienten die Regierungen oft als Instrument, um den bisherigen KampfgefÀhrten von der Macht fernzuhalten. (Aus dem Beitrag von Karsten Ruppert) Jetzt reinlesen: Inhaltsverzeichnis(pdf)
Wolfgang Stephan Kissel Livres
Wolfgang Stephan Kissel est un spécialiste allemand de la culture et de la littérature axé sur l'Europe de l'Est. Son travail explore les courants culturels et littéraires complexes de la région. Il est professeur à l'Université de Brême.






Der Osten des Ostens
Orientalismen in slavischen Kulturen und Literaturen- Unter Mitarbeit von Yvonne Pörzgen
- 467pages
- 17 heures de lecture
Die Beiträge dieses Bandes belegen, dass der Begriff des Orientalismus zu einem wichtigen Arbeits- und Erkenntnisinstrument der kulturwissenschaftlich erneuerten Slavistik geworden ist. Der Plural «Orientalismen» öffnet das Feld für sehr verschiedenartige Konstellationen, die vom Kaukasus in der russischen Romantik über die Ägypten-Bilder der russischen Moderne bis zu den Filmschulen Mittelasiens und zum Tschetschenien-Konflikt, vom polnischen Barockzeitalter bis zum Avantgarde-Roman der Zwischenkriegszeit und zu neueren polnischen Russland-Bildern, von der kroatischen Literatur der Romantik bis zu bosnischen Identitätsdiskursen der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts reichen. Dabei werden Verfahren, Symbole, Metaphern und Diskurse vorgestellt, die zur Konstruktion von Orient in slavischen Kulturen und Literaturen beigetragen haben – zum ‘Osten des Ostens’.
Anton Cechovs Dramen und Einakter werden heute auf den Bühnen der ganzen Welt gespielt. Diese Monographie deutet sie als moderne Variante des „theatrum mundi“, als Spiel vom Werden und Vergehen der Welt. Im Zeitalter von Naturwissenschaft und Evolutionslehre bleibt Gottes Platz in diesem Spiel leer, doch die fehlbaren Menschen können nicht an seine Stelle treten. Das neue Zentrum wird gebildet vom Kosmos, der Raum und Zeit hervorbringt. Auf seiner Bühne spielen keine Helden oder Protagonisten, sondern eine Menschengruppe, angesiedelt an der Grenze von Natur und Kultur, die im Chronotopos „Haus mit Garten“ konkrete Gestalt annimmt. Die Gruppe überlebt durch gemeinsame Arbeit, auch wenn die Ergebnisse der Arbeit von Verfall und Verlust bedroht sind. So entsteht ein Welttheater mit starken sozialen Akzenten, das keine Sicherheit, keine letzte Wahrheit mehr kennt.
Perspektiven einer europäischen Erinnerungsgemeinschaft
- 245pages
- 9 heures de lecture
Die in diesem Band versammelten 12 Beiträge namhafter Wissenschaftler/innen aus Deutschland, Russland, USA, Polen, Ungarn und Holland nehmen eine kritische Haltung zur behaupteten oder angestrebten Vereinheitlichung des europäischen Erinnerungsraumes ein. Ihr Interesse gilt den neuen Konstellationen, Konflikten und Wechselwirkungen nach 1989, welche Europas vielfältige Narrative und Gedächtnisorte tief greifenden Wandlungsprozessen unterziehen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnet sich daher kaum eine von oben steuerbare Vergemeinschaftung nationaler Erinnerungen ab. Die Perspektiven einer europäischen Erinnerungsgemeinschaft lassen sich dagegen in zivilgesellschaftlich und demokratisch-rechtsstaatlich vermittelten transnationalen Praxen der Versöhnung von Erinnerungskonflikten erkennen.
Flüchtige Blicke
- 681pages
- 24 heures de lecture
Die Implosion des sowjetischen Imperiums und das Ende der globalen Dichotomie haben wesentlich dazu beigetragen, daß seit einiger Zeit die Bedeutung des Raumes für historische Prozesse wiederentdeckt bzw. neu bewertet wird. Reisen gehören von jeher zu den wichtigsten Raumpraktiken, in den europäischen Literaturen nimmt die Gattung des Reisetextes seit der Frühen Neuzeit einen zentralen Platz ein. Dieser Band bietet ein weites Spektrum von Relektüren russischer Reisetexte des 20. Jahrhunderts, das u. a. Werke von V. Rozanov, A. Cechov, M. Cvetaeva, O. Mandel’štam, A. Belyj, V. Šklovskij, I. Erenburg, G. Ivanov, M. Gor’kij und A. Platonov umfaßt. Der Titel 'Flüchtige Blicke' spielt einerseits auf die historischen Fluchtbewegungen im Gefolge von Weltkrieg und Revolution an und akzentuiert andererseits die ästhetisch-poetologische ›Flüchtigkeit‹ moderner Reisetexte und ihr Assoziations- und Konnotationspotential. Das Schwergewicht des Bandes liegt auf russischen Texten über Reisen innerhalb des sowjetischen Imperiums bzw. an seine Grenzen während der zwanziger und dreißiger Jahre, an einigen Stellen wird dieser Rahmen jedoch erweitert um nichtrussische Texte oder um Reisen russischer Autoren ins westliche Ausland sowie um Reisen des frühen 20. Jahrhunderts bzw. der postsowjetischen Zeit. Anhand einer repräsentativen Auswahl entsteht so ein neues Bild der Gattung und ihrer Evolution innerhalb der russischen Literatur.
Exklusion
- 303pages
- 11 heures de lecture
Die Untersuchung verfolgt am Beispiel der Begräbnisse Aleksandr Puškins (1837), Aleksandr Bloks (1921) und Vladimir Majakovskijs (1930), wie sich an das jeweilige Ritual Erinnerungstexte anlagern, die Sterben, Tod und Begräbnis eines Dichters schriftlich fixieren, deuten, kommentieren und den momenthaften Charakter des Rituals mit literarischen Mitteln und Verfahren festzuhalten suchen. Am Sarg Puškins formierte sich gleichsam eine „zweite Gesellschaft“, die ihr Selbstverständnis nicht mehr auf den Dienst an der Autokratie, sondern auf den Dienst am Totengedenken des Dichters gründete. Im Laufe des 19. Jahrhunderts besetzte die Feier des toten Dichters in der Hierarchie der Kultursymbole einen solch hohen Rang, daß analog zur schöpferischen Transformation des Todes im dichterischen Werk von einer Thanatopoetik der russischen Kultur gesprochen werden kann. Mit dem vorliegenden Band erschließt sich ein neuer Zugang zu den verschütteten Traditionen der russischen Moderne.
Kultur als Übersetzung
- 358pages
- 13 heures de lecture