Die Epistemisch-Strukturelle Intuition und das moderne Wissenssystem
Intuition lasst sich als ein primordiales und vorsprachliches Vermogen betrachten, anhand dessen der Geist einen unmittelbaren epistemischen Zugang zu den Phanomenen erhalt. Die vorliegende Abhandlung ist ein Versuch, die Lehre der strukturellen Intuition hinsichtlich ihres erkenntnistheoretischen Potenzials auf eine epistemisch-strukturelle Intuition zu erweitern und sie demnach als den Grundzug axiomatischer Intuitionen in den fruhneuzeitlichen mathematischen und materiellen Wissenschaften zu begrunden.
Der Mensch erlebt den eigenen Leib und die Umwelt allein durch die Sinnlichkeit; seine Erfahrungswelt baut ursprünglich auf den Sinneswahrnehmungen auf. Der Zugang des menschlichen Subjekts zum Gegenstand, der sinnlich wahrgenommen und durch den Verstand erkannt wird, vollzieht sich zuerst in dieser verbindenden Funktion, die notwendigerweise die leibliche und außerleibliche Ausdehnung der Sinnlichkeit voraussetzt. Die vorliegende Abhandlung ist ein Versuch, die primären räumlich-zeitlichen Strukturen, die jeder Form der Sinneswahrnehmung innewohnen, erneut zu untersuchen und dabei eine grundlegende Analogizität zwischen den Sinnesstrukturen aufzuweisen. Seitdem Descartes die Sinnlichkeit ausschließlich unter einer unausgedehnten Seele, der res cogitans, subsumierte, und Kant sich – daran anschließend und erweiternd – die primären Sinnesqualia Raum und Zeit rein apriorisch vorstellte, bleibt die wirkliche Ausdehnung der Sinnlichkeit ein ungelöstes Problem. Die Aporie der Sinnlichkeit scheint eine Wiederherstellung des objektiven Status der primären Sinnesqualia zu bedingen. Die räumlich-zeitlichen Sinnesstrukturen bilden dabei das unreduzierbare Skelett der Wirklichkeit, auf dem sich die sekundären Sinnesqualia ausdehnen.
Die Wissenschaften entstehen und entfalten sich innerhalb von historischen Kontexten. Dabei vollzieht sich die Kontextualisierung einzelner Wissenschaftsdisziplinen durch die historisch-kontextuale Ausweitung und Abgrenzung gegenüber anderen Wissenschaftsdisziplinen. Die vorliegende Abhandlung ist ein Versuch, in der Entwicklungsgeschichte einiger frühneuzeitlicher Wissenschaftsdisziplinen eine zweifache Wurzel der Kontextualität festzustellen: Einen internen bzw. einen der Wissenschaftsdisziplin innewohnenden Prozess der Kontextualisierung kann man aus ihrer Entwicklungsgeschichte herleiten. Diesen gilt es von einem externen, durch äußere Faktoren und neue Erkenntnisse auf anderen Feldern bedingten Prozess der Kontextualisierung abzugrenzen. Aus diesem kontextualen Wechselspiel heraus lassen sich etliche Paradigmenwechsel in der frühen Neuzeit besser verstehen. Die Untersuchung geht von Fallstudien aus, wie sie in mechanischen und naturwissenschaftlichen Schriften von Descartes, Kepler, Galilei, Newton, Hooke und Boyle zu finden sind.
Die Wissenschaft der Mechanik untersucht die statischen und dynamischen Kräfte, die den irdischen und kosmischen Phänomenen zugrunde liegen. Diese Kräfte werden intuitiv oder durch eine geometrische Visualisierung erkannt, die als „strukturelle Intuition“ bezeichnet wird. Diese Intuition ermöglicht es uns, die latenten Kräfte in statischen und dynamischen Phänomenen wahrzunehmen. Die Abhandlung analysiert die epistemologischen Prozesse hinter dieser intuitiven Visualisierung mechanischer Kraftstrukturen und postuliert eine grundlegende Korrelation zwischen den Raumwissenschaften – Geometrie, Mechanik und Optik. Diese Korrelation bildet die epistemologische Basis für die intuitive Erkenntnis der Kraftstrukturen und ist entscheidend für deren Apriorität und apodiktische Gewissheit. Die Untersuchung stützt sich auf Fallstudien aus der frühneuzeitlichen klassischen Raumwissenschaft, insbesondere durch die Werke von Descartes, Kepler, Newton und Hooke. Historische Revisionen der methodischen Grundlagen der raumwissenschaftlichen Intuition werden betrachtet. Zudem wird die ursprüngliche Herleitung des Äquivalenzprinzips bei Einstein hinterfragt. Auch das statische Phänomen wird in Bezug auf Leibnizs Kontinuitätsprinzip als Grenzwert eines dynamischen Prozesses analysiert. Diese Überlegungen führen zur Vorstellung einer „temporalen Differenzierung“, die das Zeitkonzept in die Differentialrechnung integriert.
Erwin Panofsky verfasste die Abhandlung Die Perspektive als symbolische Form, die er im Jahr 1924 in der Warburg-Bibliothek vortrug, im Grunde als einen Beitrag zu der Philosophie der symbolischen Formen von Ernst Cassirer. Als ein Erweiterungsversuch zu diesem philosophischen Projekt Cassirers fand die Untersuchung Panofskys kaum Resonanz. Bei Kunsthistorikern und -theoretikern dagegen fand diese Abhandlung, die im letzten Jahrhundert den Status eines klassischen Werkes erlangte, Beachtung und Anerkennung, aber zugleich auch Kritik und Ablehnung. Dementsprechend wurde sie meistens im Rahmen der Kunstgeschichte und -theorie erörtert. In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, die Bestimmung der Perspektive als symbolische Form vorwiegend philosophisch zu behandeln. Dies setzt voraus, dass die Perspektive von einem Darstellungsmodus, den die meisten Studien über die Zentralperspektive der Renaissance im Rahmen der Kunstgeschichte und -theorie zum Gegenstand haben, nun auf den Anschauungsmodus, also auf die unmittelbare perspektivische Anschauung zurückversetzt wird. Die Untersuchung zielt darauf ab, aus der Vorstellung Perspektive als symbolische Form die prozessuale Perspektivierung methodisch abzuleiten, und sie als eine rein ästhetische Modalität des Symbolisierungsprozesses zu begründen.