Was heißt ‚Ästhetik’ in Zeiten und Kulturen vor der expliziten Ästhetik des 18. Jahrhunderts? Dieser Band fragt danach, was uns vormoderne Texte und Artefakte über ihre ästhetischen Grundlagen mitteilen. Die interdisziplinären Beiträge aus Archäologie, Latinistik, Germanistik, Skandinavistik, Romanistik, Anglistik und Amerikanistik suchen nach Formen, Typen und Figurationen, in denen sich ästhetische Selbstreflexionen und -kommentare ‚im Vollzug’ manifestieren. Am Beispiel von Zeugnissen aus unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Medien werden Beschreibungsszenarien und heuristische Kategorien entwickelt, die eine ‚andere‘ Ästhetik – eine Ästhetik der Vormoderne – konturieren helfen. Für diese konkreten Formen und Manifestationen ästhetischer Selbstreflexion wird der Begriff der ‚ästhetischen Reflexionsfigur‘ vorgeschlagen. Die Beiträge untersuchen, inwieweit mithilfe von ‚ästhetischen Reflexionsfiguren‘ eine ‚andere‘ Ästhetik in ihren Erscheinungsformen, Funktionen und soziokulturellen Bedeutungen erschlossen werden kann.
Annette Gerok Reiter Livres






Wink und Wandlung
Komposition und Poetik in Rilkes "Sonette an Orpheus"
Rilkes „Sonette an Orpheus“ wurden über Jahrzehnte vor allem wegen ihrer musikalischen Leichtigkeit und Klangfülle geschätzt. Doch diese Kantabilität schließt poetische Raffinesse und theoretisches Kalkül nicht aus, was die vorliegende Arbeit durch eine detaillierte Textanalyse verdeutlicht. Rilkes eigener Anspruch setzt dabei den Maßstab: Er betont, dass jeder Dichter die Feder als ein verantwortungsvolles Werkzeug nutzen muss. Der Erkenntnisgehalt der Form ist somit von großer Bedeutung. Die klanglichen, rhythmischen, lexikalischen und bildlichen Sprachwerte ermöglichen es, zentrale Fragen zur Einheit des Zyklus, zu Rilkes Umgang mit der Sonettform und zu seinem morphologischen 'Keimzellenprinzip' präzise zu beantworten. Zudem wird Rilkes Beitrag zur modernen Subjekt-Diskussion, zu einem progressiven Werk-Begriff und zur Umdeutung der Orpheusfigur gewürdigt. Die Ergebnisse führen zu einer Revision zahlreicher festgeschriebener Topoi der Rilke-Interpretation. Gleichzeitig wird die literarhistorische Schwellenposition des schmalen Zyklus deutlich: Er bewahrt nicht nur die Kategorien der symbolistischen 'klassischen' Moderne, sondern bricht diese auch auf und eröffnet eine Dimension des Sagens, die erst die Lyrik nach dem Zweiten Weltkrieg verwirklichen wird.
Raum und Zeit im Minnesang
Ansätze – Spielarten – Funktionen
English summary: Playing with the categories space and time has fundamental importance for the Minnesang. It is forming the songs on such different levels as concept, roles, situations of speech, lexem-inventory or vividness. The contributions of a conference in Tubingen, which this volume brings together, make space and time productive as interpretations for the Minnesang and work towards a systematization of the Minnesang with the help of spatial and temporal criteria. German description: Das Spiel mit den Kategorien 'Raum' und 'Zeit' ist fur Minnesang von grundlegender Bedeutung. Es pragt die Lieder auf solch unterschiedlichen Ebenen wie Minneauffassung, Rollenkonzept, Sprechsituation, Lexem-Inventar oder Bildlichkeit. Die Beitrage einer Tubinger Tagung, die der vorliegende Band versammelt, machen 'Raum' und 'Zeit' in umfassender Weise als Interpretamente fur den Minnesang fruchtbar und arbeiten einer Systematisierung des Minnesangs mit Hilfe von raumlichen und zeitlichen Kriterien zu.
Schein und Anschein
Dynamiken ästhetischer Praxis in der Vormoderne
Der Sonderforschungsbereich Andere Ästhetik untersucht, wie vormoderne Artefakte ihren ästhetischen Status reflektieren. Hieran anknüpfend, geht der vorliegende Band einem seit der Antike bis heute zentralen Themenfeld ästhetischer Diskussion nach: der Spannung von Schein und Anschein. Ausgangspunkt ist die Polyvalenz von Begriff wie Phänomen des Scheins, die im Wesentlichen drei Möglichkeiten eröffnet: Schein als Leuchten, Schein als Sichtbarwerden und In-Erscheinung-Treten sowie Schein als , bloßer‘ Schein, als Täuschung. Der Band diskutiert den variantenreichen Umgang mit Phänomenen von Schein, Erscheinung und Anschein anhand ausgewählter Texte, Monumente und Bildwerke von der Antike bis in die Frühe Neuzeit. Die Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen verfolgen dabei insbesondere die Frage, unter welchen kulturhistorischen Voraussetzungen und in welchen konkreten Formen ästhetische Konfigurationen als erkenntnisfördernder und , erhellender‘ Schein, wann als verstellender, ja täuschender Anschein wahrgenommen und bewertet werden.
Traum und Vision in der Vormoderne
Traditionen, Diskussionen, Perspektiven
- 306pages
- 11 heures de lecture
"Gerade die europäische Kultur weist hinsichtlich Traum und Vision einen dichten Traditionszusammenhang auf. Dieser Zusammenhang erlaubt eine präzise Differenzierung und Abgrenzung einzelner Diskurse in Religion, Naturwissenschaft, Geschichtsschreibung, Philosophie und Literatur, die in Sichtweite zueinander operieren oder untergründig miteinander verbunden sind. Der vorliegende, interdisziplinär orientierte Essay-Band stellt die entscheidenden Diskurse sowohl der antiken und byzantinischen als auch der jüdischen, islamischen und christlichen Tradition innerhalb der Vormoderne vor. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf dem Mittelalter. In systematischer Hinsicht diskutiert der Band den Umgang mit Träumen und Visionen vor allem unter zwei Perspektiven: Zum einen in ihrer Dimension als unbeeinflussbare, unwillkürliche Imaginationstätigkeit, deren Wirkung und Einschätzung den Formen der Phantasieproduktion ähnlich ist; zum anderen als Medium genau reflektierter Inszenierung und Funktionalisierung. Dabei zeigt er durch die Explorationen bis in die Neuzeit durchaus auch Anknüpfungsmöglichkeiten für die moderne Diskussion auf."--Back cover.
Individualität
Studien zu einem umstrittenen Phänomen mittelhochdeutscher Epik
- 350pages
- 13 heures de lecture
Der Suchbegriff ´Individualität´ richtet sich einerseits auf eines der produktivsten Felder philosophisch-theologischer Diskurse westlicher Kultur, andererseits - bezogen auf die mittelhochdeutsche Literatur - auf etwas, dessen Beschaffenheit höchst unklar, dessen Vorhandensein höchst umstritten ist. Erstes Ziel der Studie ist es deshalb, das ebenso attraktive wie diffuse Interpretament ´Individualität´ in Hinblick auf die mittelhochdeutsche Epik um 1200 auf eine solide methodische Basis zu stellen. Verfolgt wird dabei ein Neuansatz, der sich von einer subjekt-, person- oder identitätsbezogenen Individualitätsdefinition abwendet zugunsten eines Individualitätskonzepts der Inkommensurabilität, der Nicht-Identität, Differenz, Abweichung und Ausgrenzung. Die semantischen Spielarten und Konstitutionsbedingungen einer solchen ´Abweichungsgrammatik´ werden in detaillierten Einzeluntersuchungen herausgearbeitet. Dabei kristallisiert sich als Organisationsprinzip von Individualität eine Ästhetik der Negation heraus, die bis in die Moderne hinein als kulturhistorische Mitgift ihre Wirkung getan zu haben scheint.