1593 wurde am Fastnachtstermin die Tragikomödie 'Convivii Process - Spiegel dess Überflusses und Missbruchs in Ergetzlichkeit dess Lybs und weltlicher Fröwden' des Luzerners Renward Cysat auf dem Weinmarkt in Luzern aufgeführt. Mit 21 Akten, 110 Rollen und über 9000 Verszeilen gilt das Werk als Höhepunkt der Fastnachtsspiele, da es verschiedene Theaterformen wie Fastnachts-, Oster-, Weltgerichtsspiel und Jesuitentheater zu einer barocken Großform vereint. Das Laientheater in Luzern nahm im 16. Jahrhundert komplexe und aufwendige Formen an, was durch zahlreiche Literatur- und Theatergeschichten belegt wird, die das Luzerner Osterspiel Cysats als Kulminationspunkt mittelalterlicher Spiel- und Literaturpraxis beschreiben. Der 'Convivii Process' des Stadtschreibers, Apothekers und Literaten Cysat ist jedoch wenig bekannt, da das Stück bis zu seinem Kauf durch den Kanton Luzern 1919 als verschollen galt. Zudem wurde es, da es mit der Moralität 'La Condamnation de bancquet et correction de souper' von Nicolas de la Chesnaye gebunden ist, oft nur als Übersetzung angesehen. Cysat betont in seiner Vorrede, dass er das Stück an luzernische Sitten anpasste und mit Zwischenspielen sowie ganzen Szenen erweiterte. Der Text kann daher nicht als bloße Übersetzung gelten, da er mehr als den doppelten Umfang der Vorlage aufweist.
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Theaterpionier aus Leidenschaft
Oskar Eberle (1902–1956)
Stadtnarren, Festspiele, Kellerbühnen
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Die illustrierte Darstellung der Berner Theatergeschichte vermittelt Einblicke in die Vielfalt der Theateraktivitäten vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Die Spanne reicht von religiös-brauchtümlichen Schauereignissen über Repräsentationsformen verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen, Auftritte von Wandertruppen, Engagements von Emigranten am Stadttheater und Kellerbühnenexperimente bis hin zum fragmentierten Nebeneinander der heutigen Tanz-, Theater- und Festivalszene. 0Schwerpunkte setzt die chronologisch angeordnete Überblicksdarstellung bei szenischen Vorgängen, die besonders charakteristisch sind für Bern oder die von der Forschung vernachlässigt wurden. Die Darstellung des breiten Spektrums von Schauereignissen im Kontext der Stadtgeschichte sprengt den üblichen Rahmen spieltext- und institutionenbezogener Theatergeschichten; als Werk mehrerer Autoren bietet sie eine heterogene und multiperspektivisch angelegte Gesamtschau, die bisher erschienene Einzeldarstellungen integriert und Akzente setzt durch neue Fragestellungen.
Die Stadt Luzern gehörte im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit zu den wichtigsten Zentren der Schweizer Theaterkultur. Die über 160-jährige Tradition des Luzerner Osterspiels findet selbst im internationalen Vergleich kaum ihresgleichen und die glanzvolle Aufführung von 1583 stellt 'ohne Frage die höchstentwickelte Bühnenleistung in der gesamten Geschichte des mittelalterlichen deutschsprachigen Dramas dar' (Blakemore M. Evans). Bemerkenswert ist nicht zuletzt die reiche Überlieferung dieser Tradition: Eine Fülle von Texten, Bühnenrödeln, Angaben über Technik und Inszenierung, Bühnenplänen, Kostümverzeichnissen, Spielerlisten, Gesangsheften mit Noten und detaillierten Abrechnungen, gesammelt und archiviert vom Luzerner Stadtschreiber und Spielleiter Renward Cysat (1545–1614), erlaubt theatergeschichtliche Einblicke von einmaliger Tiefenschärfe. In der vorliegenden Arbeit wird diese Dokumentensammlung, systematisch gestützt und geprüft durch andere Quellen, erstmals für eine Darstellung des gesamten Gefüges der szenischen Vorgänge und theatralen Handlungen in der Stadt herangezogen. Dies erlaubt auch die Erfassung und Beschreibung von obrigkeitlich nicht sanktionierten, verpönten oder verbotenen Spielformen wie Marktplatzspektakeln, brauchtümlichen Schaustellungen und volkskulturellen Aktivitäten aller Art.
Schweizerische Produktionen werden meist von der Gattung «Fastnachtspiel» ausgegrenzt und als «Sonderentwicklungen» oder «politische Spiele» deklariert. Ausgehend von Erscheinungsformen und Bedeutung der eidgenössischen Fastnacht des 15./16. Jahrhunderts, gleichsam Anlass und Motivlieferant, werden im Vergleich mit der Nürnberger Tradition die Besonderheiten von Struktur, Gehalt und Gestaltungsprinzipien dargestellt. Exemplarisch wird der 1546 in Luzern aufgeführte Marcolfus und dessen Bindung an das brauchtümliche und historisch-gesellschaftliche Umfeld analysiert. Die formale und inhaltliche Eigenart und die besondere didaktisch-politische Ausrichtung dieses, aber auch der übrigen Schweizer Fastnachtspiele, lassen sich als zeit- und gesellschaftsbedingte Variante ein und derselben Gattung erklären.