Wie Weiterbauen? – ein Thema, das uns seit Jahren zunehmend beschäftigt. Weiterbauen meint normalerweise ein Arbeiten mit oder im Bestand, eine gewisse Kontext- und Bestandsqualität voraussetzend. Wie aber funktioniert „Weiterbauen“ ohne besondere Bestandsqualität, sondern Bestand ausschließlich als nicht weg zu diskutierende Macht des Faktischen?
Ferdinand Schmatz Livres






„Nachrichten aus dem Berge“ nennt Ferdinand Schmatz seine zwischen Roman, Erzählung und Reflexion vermittelnden Aufzeichnungen, die einen klar umrissenen sozialen und geographischen Raum zum Thema haben: ein abgeschiedenes Tal in den steirischen Bergen, samt seiner Bewohner, die im Wirkungskreis des im Tal herrschenden Gutsherrn leben und um dieses Leben ringen. Die Episoden, die das Ich des Textes schreibt, hängen vielleicht nur in dessen Kopf zusammen. Der Erzähler ist selbst Teil dieses sozialen Gefüges. „Portierisch“, das heißt „gewöhnlich“ seiner Herkunft nach, ist er in die „inneren Kreise“ altösterreichischer Adelsreste aufgestiegen. Dort verfolgt er die Differenzen und fein abgeschatteten sozialen Codes mit genauen und sensiblen Beobachtungen. Doch soziale und lokale Sujets machen nur einen Teil der ineinander verzahnten Erzählstränge dieser Prosa aus, die als ein beeindruckend atemloses, umfassendes Fragmentsprechen der dichterischen Existenz gelten kann.
Schielen ist Erkenntnis
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STRAND DER VERSE LAUF
Gedicht
Der Schriftsteller Ferdinand Schmatz ist nicht nur ein herausragender Lyriker und Essayist. Er hat seine Arbeit seit mehr als dreißig Jahren auch um Lehrtätigkeiten an der Universität für angewandte Kunst Wien erweitert, wo er von 2012 bis 2020 dem Institut für Sprachkunst als Leiter vorstand. Mit alles oder nichts wortet würdigen Kolleginnen und Kollegen, Wegbegleiterinnen und -begleiter und Studierende Werk und Wirken von Ferdinand Schmatz auf besondere Weise: in Lektüren seiner Texte, in literarischen Antworten auf sein Schreiben, in Anekdoten, gemeinsamen Gedankenspielen, freundschaftlichen Wertschätzungen. Der Band enthält auch Gespräche, in denen der Autor selbst zu Wort kommt, sowie Auszüge aus ausgewählten Werken, u. a. der Komponisten Wolfgang Mitterer und Beat Furrer.
Alles fließt, alles rauscht, alles klingt: In einem lyrischen Triptychon betritt Ferdinand Schmatz ein Boot aus Worten, das die Donau von den Quellen bis zur Mündung hinabgleitet, den Blick gerichtet auf die Ufer, an denen sich Natur und Zivilisation, Garten und Stadt gegenüberstehen. Im Rauschen des Flusses, im Palast der Sprache klingt das Echo der Welt, der Musik, der Kunst und der Literatur, jener Quellen, die Ferdinand Schmatz aufgreift und in seiner Lyrik aufblühen lässt. Ferdinand Schmatz’ Gedichte sind pure Lust an der Sprache.
Ein Künstlerroman – aber was für einer: die poetische Reise in die fragile Innenwelt einer Künstlerseele, die sich in einem kühnen Strom aus Beobachtung und Beschreibung, Träumen und inneren Dialogen verankert. Da wird einer in die Röhre geschoben, bildlich und tatsächlich durchleuchtet und hinterfragt, und stellt sich selbst in Frage. Er, das ist Franz, der Künstler. Kontrapunkte setzen Professor Pokisa, der Arzt, und Danja, die Frau an Franz’ Seite. Aber vielleicht ist sie ja auch nur ein Spiegelbild von Franz, eines, das ihm über die Brüche in seinem Dasein und Sosein hinweghilft, oder ist er eines von ihr? Ferdinand Schmatz entwickelt in seinem „wilden Roman“ ein schelmisches und hintergründiges Spiel um Bild und Idee, Beschreibung und Identität, umkreist grundlegende Fragen von menschlichem Sein und Schein, von Sprache und Kunst. Wie das alles ausgeleuchtet wird und in Franz gespiegelt, ergründet und ironisiert, wie das vielschichtig durcheinanderwirbelt in einem Sog aus Gegenwärtigem und Erinnertem, aus Essay und Erzählung, das macht den Reiz und die große Kunst dieses Romans aus.
Erneut spannt Ferdinand Schmatz den Bogen von dichterischer Innenwelt zu sinnlich wahrnehmbarer Außenwelt: im dreiteiligen „echo“ seiner eigenen Dichtung bereist Schmatz die realen Räume zweier Städte und den imaginären Raum der Sprache, deren Zentrum das Gedicht bildet. „tokyo, echo“ und „sankt petersburg, echo“ sind dabei aber bedeutend mehr als die Summe der bebauten Fläche. Das zufällig aus dem unvorstellbar großen Kontinuum eines Stadt-Bildes Herausgegriffene schlägt um ins Notwendige der poetischen Wahrnehmung und des poetischen Vollzugs. Frei von den Verpflichtungen des Chronisten, der auf die Vollständigkeit der Schilderung setzen muß, schreibt sich Schmatz an die Wurzeln des Wahrnehmbaren, Zeichenhaften und Bedeutenden heran. Während die in Strophen gegliederten Tokyo-Gedichte in ihrer wiederholten Atemlosigkeit und Intensität der stets weiter getriebenen Sprachbewegungen Wirkliches und Vorgestelltes verzahnen, entsprechen die vibrierenden Zweizeiler von „sankt petersburg, echo“ im „vor-ruf“, „jetzt-ton“ und „nach-klang“ ganz dem Konzept eines Dichtens von der Mitte her. In diesen Zwischenbereich von Erfindung und Wahrnehmung fügt sich der dritte Abschnitt des Bandes: „dichtung, echo“. Schmatz schreibt hier Gedichte mit und entlang der Dichtung anderer. Beginnend an den Scharnieren bedeutsamer Fremdtexte - u. a. von Hölderlin, Kafka, Mandelstam, Busch, Walser - treibt Schmatz seine Gedichte in die Eigenständigkeit, um so die Vorlage dem eigenen Schreiben anzuverwandeln - fernab von postmoderner Zitierwut, in wunderbarem Ton und einleuchtendem Gehalt großer Poesie.

