Im Jahr 1900 begann Ludwig Thoma, nach einer kurzen Tätigkeit als Anwalt, für die Zeitschrift „Simplicissimus“ zu schreiben und wurde zum gefürchteten Satiriker. Seine Gedichte, Dramen und Romane machten ihn bereits zu Lebzeiten berühmt. Erkauft war dieser Aufstieg jedoch mit Selbstdisziplin und einer großen Anpassung an das literarische Leben. Der Erste Weltkrieg brachte die Brüche seines Lebens zum Vorschein: die Sehnsucht nach Autorität und nationaler Größe, die Feindschaft gegen Frauen, Sozialdemokraten und Juden. Nach 1918 nahmen diese einen hetzerischen Ton an, ihre Spuren finden sich jedoch bereits in früheren Lebensstationen. Wurde aus einem Spötter ein „Spießer“, wie ihn Kurt Tucholsky enttäuscht nannte
Gertrud M. Rösch Livres





Clavis scientiae
Studien zum Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität am Fall der Schlüsselliteratur
In dieser diachronen Studie werden Texte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert analysiert, um die literarische Verschlüsselung als Vermittlungsform von Faktizität und Fiktionalität im Kontext zweier kultureller Praktiken, der kabbalistisch inspirierten Steganographie und der Kryptographie, zu erfassen. Am höfisch-historischen Roman, wie bei M. Opitz/J. Barclay und Anton Ulrich von Braunschweig, wird der Verlauf der referentialisierenden Lektüre untersucht. Im 18. Jahrhundert verbindet sich das 'Prinzip Schlüssel' mit Satire und Pasquill, etwa bei Chr. F. Hunold und Chr. M. Wieland. Die entschlüsselnde Lektüre zeigt sich im Rezeptionsprozess von "Die Leiden des jungen Werthers" mit unerwarteter Direktheit. Die Rolle der Zensur für das Fortbestehen des 'Prinzips Schlüssel' wird an E. T. A. Hoffmanns "Meister Floh" deutlich; bei Klaus Manns "Mephisto" wird sichtbar, wie das Konzept gegen den Roman instrumentalisiert wurde. Thomas Mann, der in seinem Werk ständig mit dieser Lektüre konfrontiert war, reagierte mit Verteidigungen und ironischer Gegenwehr, etwa in "Lotte in Weimar", wo er die Entschlüsselungslust der Zeitgenossen inszenierte. Die Einzeluntersuchungen zielen darauf ab, die Referentialisierung als legitime Form der Lektüre herauszustellen.
Die Techniken der Codierung bzw. der Verschlüsselung gehören zu den unerlässlichen VorausSetzungen der digitalen Kommunikation. Die technische Entwicklung im 20. Jahrhundert hat dazu geführt, daß Kryptographie als eine Einzelerscheinung verhandelt wird, während es sich historisch gesehen um eine elaborierte und weitverzweigte gesellschaftliche Praxis handelte, deren Hauptformen Steganographie und Kryptographie von der Kabbala inspiriert sind. Folglich ist es an der Zeit, diese beiden Praktiken im historischen Kontext zu untersuchen. Die Beiträge des Bandes stellen die verloren gegangenen Zusammenhänge wieder her, indem sie u. a. die unterschiedlichen Verfahren der Codierung im Kontext der Freimaurerei, der Geschichte der Genetik, in der internationalen Diplomatie oder in Zeiten der Zensur vor Augen stellen.
Bis heute gilt der Simplicissimus, der von 1896 bis 1944 in München erschien, als das Satireblatt schlechthin; er steht als Synonym für Opposition. Wie weit spiegelte die Satire die Wirklichkeit? Ohne den kulturellen Kontext sind diese Zeichnungen und Texte nicht zu verstehen. Aber diese Texte und Bilder formen sich auch zu einer eigenen Welt, sie sind Kunstwerke, die gattungsgeschichtlichen und ikonographischen Traditionen folgen.
Ludwig Thoma (1867-1921), der heute vor allem als Dialektautor bekannt ist, schrieb 25 Jahre lang für unterschiedliche Periodika, so für die Kulturzeitschrift «März» und verschiedene Tageszeitungen sowie für die satirische Zeitschrift «Simplicissimus». Seine Witze und Zeitsatiren - von denen «Josef Filsers Briefwexel» am berühmtesten wurde - trugen ebenso wie seine zahlreichen, heute kaum mehr bekannten Presseprozesse zu seinem Ruf als schärfstem Satiriker Deutschlands bei. In dieser Eigenschaft glossierte er jedes aktuelle Ereignis des Kaiserreichs, so dass sein journalistisches Werk zugleich eine Geschichte dieser Epoche ist. Die panegyrische Überhöhung Bismarcks und des von ihm gegründeten Reichs, die Thomas Journalistik von Anfang an durchzieht, steigert sich beim Kriegsausbruch 1914 zu einseitigem Nationalismus und führte zu der konsequenten Ablehnung der Weimarer Republik, die er als Verschleuderung des Bismarckschen Erbes verstand und im «Miesbacher Anzeiger» bekämpfte.