Die überarbeitete Neuauflage von Dr. Rudolf Leubuscher über die Werwölfe und Tierverwandlungen des Mittelalters ist ein Klassiker der Psychologie. In drei Kapiteln werden die Werwolfssucht (Lykanthropie), Hexensalben sowie die Entstehung des Wahns der Tierverwandlung behandelt. Anhand von Gerichtsfällen über Kannibalismus, Kindstötungen und Serienmorde an Frauen und Männern werden die verschiedenen Wahnvorstellungen der Menschen des Mittelalters und der Neuzeit beschrieben und Erklärungsversuche gegeben. Die hinzugefügten Übersetzungen aus französischen und lateinischen Zitaten sind nicht Wortgenau übersetzt worden, geben aber den Inhalt identisch wieder. Zu einigen älteren Begriffen, die heute fast gänzlich aus dem Wortschatz verschwunden sind, habe ich erklärende Anmerkungen hinterlegt. Der Text wurde in die neue deutsche Rechtschreibung überarbeitet.
Rudolf Leubuscher Livres




„Wahnsinn“ bezeichnete über die Jahrhunderte eine Vielzahl von Erscheinungen und auffälligem Verhalten, die oft mit einem Kontrollverlust körperlicher oder psychischer Fähigkeiten einhergingen. Diese Phänomene sind durch die Menschheitsgeschichte bis in früheste Zeiten nachvollziehbar und finden auch in Mythologien ihren Widerhall. Vor hundert Jahren waren viele dieser Verhaltensauffälligkeiten, die später als Krankheiten klassifiziert wurden, ein Mysterium. Dazu zählen Epilepsie, Hysterie, Melancholie, religiöse Ekstase, Halluzinationen, Demenz, Manien, Phobien, Schizophrenie, Autismus, Zwangsstörungen sowie Ess- und Schlafstörungen. Auch Symptome, die durch den Gebrauch von Substanzen oder Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen verursacht wurden, fallen darunter. Diese Krankheiten wurden oft als Besessenheit oder Folgen von Verwünschungen gedeutet, was zu Stigmatisierung und Isolation der Betroffenen führte. Sie wurden unter unmenschlichen Bedingungen in Zucht-, Arbeits- oder Tollhäusern untergebracht. Heilungsversuche, meist durch Priester, erfolgten häufig mit ritueller Magie (Exorzismus), während in den Anstalten oft Folter eingesetzt wurde, um den Menschen den „Irrsinn“ auszutreiben.
Werwölfe und Tierverwandlungen im Mittelalter
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Die Vorstellung, dass sich Menschen in Tiere verwandeln könnten, lässt sich bis ins Altertum zurückverfolgen. Weil die Verwandlung vorzugsweise in Wölfe und Hunde geschehen sollte, so erhielt die ‚Krankheit' den Namen Lykanthropie und Kynanthropie. Durch dieses Buch werden Sie die einzelnen Fälle in fortwährender Beziehung mit dämonischen Vorstellungen kennenlernen. Bei den Erklärungen der einzelnen Schriftsteller, selbst aufgeklärter Ärzte, welche die Wolfsverwandlung schon als eine reine Krankheit auffassen, werden Sie den ungeheuren Einfluss von dem Glauben an die unmittelbare Einwirkung des Teufels erkennen. Auffallend ist bei dem Überblick über die Fälle der Lykanthropie ihre weite Verbreitung. Sie kommt in Frankreich, in Deutschland, im Norden und Süden Europas vor, und ähnliche Sagen von Verwandlung einer ganzen Menschenklasse in Hyänen sind in Abyssinien heimisch. Die Gemeinsamkeit einer Sage unter verschiedenen Himmelsrichtungen und bei verschiedenen Völkern deutet auf einen gemeinsamen menschlichen Grundsatz hin und auf ihre Entstehung auf ähnliche Grundzustände des menschlichen Organismus. Dieser Einblick gibt uns eine Art Berechtigung, der Verbreitung der Sage nachzuspüren.