Trotz der gegenwärtigen Konjunktur der Kunst und des Ästhetischen hat sich seit Adorno und Heidegger keine umfassende ästhetische Theorie mehr entwickelt. Die Kunst scheint sich im Durchspielen bereits gewonnener Positionen zu erschöpfen. Die Postmoderne hat gezeigt, dass bereits zu Beginn der Moderne ineinander verhakte Positionen entstanden sind, zwischen denen man changieren kann, ohne sie zu verlassen. Dies veranlasst, einen Blick auf den Beginn der modernen Kunst zu werfen. An der Jahrhundertwende lassen sich, parallel zu neuen Bilderzeugungstechniken, zwei Alternativen erkennen: die Reinigung des Bildraums zur leeren Fläche (Malewitsch) und die Energetisierung des Bildraums, die Formen sprengt und die Farblinie intensiviert (van Gogh). Beide Ansätze, Mimesis und Mimikry des von kulturellen Codes befreiten Bildes, wurden durch eine weitere künstlerische Strategie ergänzt, die den Austritt aus dem Bild vollzog und sich in Ironie und das Spiel mit kulturellen Codes zurückzog, während die Ikone durch das Fetischobjekt (Duchamp) ersetzt wurde. Diese drei Strategien - Negation, Implosion und Ironisierung des Imaginären sowie Ästhetisierung des Realen - prägen weiterhin die künstlerische Produktion. Die Konstellation um van Gogh, Malewitsch und Duchamp bildet den Ausgangspunkt für Reflexionen zu einer ästhetischen Theorie der Moderne und diskutiert den aktuellen Leerlauf der Imagination bei inflationärer Bildbesetzung.
Hans Matthäus Bachmayer Livres




In Fortsetzung einer Dokumentation von Texten zur Kunst, die 1982 erstmalig von der Galerie van de Loo herausgegeben wurde, sollen in diesem zweiten Band einige gegenwärtige Problemfelder der Kunst in ihren kunsthistorischen, soziologischen und philosophischen Konsequenzen thematisiert werden. Nach wie vor ist die Kunst von den Gegensätzen gezeichnet, die sich zu Beginn dieses Jahrhunderts in der künstlerischen Produktion und der ästhetischen Theorie entfaltet haben: Rationalität und Expressivität, Abstraktion und Gegenständlichkeit, Kunst, Anti-Kunst und Leben, Schein und Realität... Kunst steht heute in einem Spannungsfeld des Realen, Imaginären und Symbolischen, das als konkrete Bild- und Zeichenwelt von Graphismen der »körperlichen Nähe« bis zum »Fernsehen« im Bildschirm ihre sinnlichen Spuren hinterläßt... Dem Skandal der Kunst ist daher erneut nachzufragen, um andere bildnerische und reflexive Kategorien zu erschließen, die den falschen Gegensatz von Expression und Konstruktion, von Leidenschaft und Rationalität überschreiten.