Hildegard Heise Livres






AuszugHildegard Heise: „Spiritualität gewinnt im westlichen Lebensraum unübersehbar an Bedeutung, so dass sich brisante Felder eröffnen - zum Beispiel die bis in seriöse wissenschaftliche Kreise hinein erörterte Frage, ob die Menschheit von einem anthropozentrischen Prinzip in der Weltentwicklung profitiert. Mehr noch richtet sich mein Interesse auf die unerwartete Begegnung verschiedener Geistigkeiten: nach hierhin der Spiritualität, die ihrerseits in vielen Variationen zum Ausdruck kommt - und nach dorthin der neuzeitlichen Wissensart: so die theoretische Physik, die Kreativitätsforschung und die Gehirnforschung. Wie bestimmt sich das Verhältnis dieser beiden grundverschiedenen geistigen Bereiche?.“
Die moderne Lebensweise hat die Entwicklung des Menschen und seine Entfaltungsmöglichkeiten nicht wirklich gefördert, sondern zeigt schwerwiegende Projektionen und Scheinweiten des Lebensraums. Obwohl die Lebensweise dynamisch und voller Neuerungen erscheint, sind die Handlungsoptionen, die den Menschen präsentiert werden, nicht wirklich seine eigenen. Der Band analysiert dieses Phänomen im Spannungsfeld zwischen Gesellschaftstheorie, Evolutionstheorie und Subjektontogenese. Die Neotenie, verstanden als konstruktive „Verkindlichung“ des Menschen, erweist sich als hilfreich, um die blockierte Kreativität wieder freizusetzen und zu einem „Neuwerden von innen heraus“ zu führen. Ziel ist nicht die Überwindung der gesellschaftlichen Einengungen, sondern der Rückgang hinter die verselbstständigten Dynamiken und eingefahrenen Muster, hin zu einer inneren Ausrichtung des Menschen. Neotenie wird nicht primär als evolutionäre Charakteristik betrachtet, sondern als Möglichkeit zur bewussten Aktualisierung und Verstärkung des Neotenen. Diese Fähigkeit kann sich gegen innere Widerstände durchsetzen und das Potenzial des Menschen zugänglich machen. Die Analyse und das Plädoyer für Neotenie zeigen nicht die Rückwärtsgewandtheit des Menschen, sondern seine kreative und verantwortungsvolle Ausrichtung nach vorne.
Kritik, Problemorientierung und Entwicklungsdenken sind die bleibenden Erben der Aufklärungsepoche. Die Autorin hinterfragt, welche neuen Räume und gesellschaftlichen Bezüge eröffnet werden können, um das Subjektpotenzial neu zu erschließen. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung typischer subjektiver Dispositionen der Moderne. Wie definiert sich die Beweglichkeit des Menschen und seine Fähigkeit, blockierende Verhaftungen abzubauen? In welchem Maße spiegelt der Einzelne die dynamischen Herausforderungen unserer Zeit wider, und welche Rolle spielt das Geschlechterverhältnis dabei? Diese Fragen werden durch die Auflösung grundlegender Objektivitäten in Subjektivität beleuchtet, wobei Erkenntnisse aus Gesellschaftstheorie, Gehirnforschung und Geschlechtertheorie miteinander verknüpft werden. Die komplexe Entstehung des Menschen als Biosystem und Subjekt der bürgerlichen Gesellschaft wird nachvollzogen. Eine neue Perspektive auf das Spannungsverhältnis von sexuell bedingter Körperlichkeit und Gesellschaftlichkeit wird eröffnet. Während strukturierte Bedingungen einer tiefergehenden Analyse zugänglich gemacht werden, wird das verborgene menschliche Potenzial, insbesondere das Weibliche als Beweglichkeitspotenzial, positiv hervorgehoben. So wird die Ebene der Kritik überschritten, ohne die harten Lebensverhältnisse zu leugnen. Hildegard Heide, Dr. rer. pol. habil., ist Professorin an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin und hat