Arnhelm Neusüss Livres






ZielSetzung
Neue Gedichte, mit Ortsverzeichnis
An Zielen ist in Wirtschaft, Politik und Kunst kein Mangel, doch für die Menschheit wird schon längst keins mehr avisiert, höchstens deren Ende, das Vaterland hat die seinen verspielt, und wer eins fürs Leben plant, muss als Fantast gelten. Symbol dieser Lage ist die Kühlerfigur, die dem Fahrer das Ziel fingiert, selbst wenn er im Kreis kurvt. Zwar ist sie bereits überholt, ihre Gestalten sind nostalgisch besetzte Sammlerstücke wie die klassisch modernen, einst revolutionären Tableaus von Picasso oder Klee, aber das schafft ihnen nun den Status objektiv, also absichtslos ironischer Embleme der Postmoderne. Dem entsprechen diese Gedichte schon in ihrer Form: Vintage, das heißt entschieden von gestern, selbstverständlich durchgehend gereimt, dass Ordnung in die Welt kommt, und dem Leser freundlich, damit er nicht sogleich vergisst, betont sie ihren gehörigen Abstand zu den üblichen Attituden und Affekten der laufenden Lyrikproduktion. Daher liegen ihnen Wortakrobatik und Verrätselung fern, und wo derlei unterläuft, ist es dem Einfall geschuldet, nicht Verblüffungsabsicht. Auch wird hier weder geklagt noch gehofft und weder Großes gefeiert noch Kleines gehegt. Das gesetzte Ziel dieser Verse ist der Weg ihres Setzens. Er geht auf Durchblick aus, und das Stichwort seines Verlaufs heißt Reflexivität – von einer Art, die vielleicht nur dies Format erlaubt. Über den Autor: Arnhelm Neusüss lehrte an der Freien Universität Berlin zur Geschichte des gesellschaftstheoretischen Denkens. Letzte Publikationen: Ein Ausflug ins Gebirge. Wie unser Horizont sich verschob. Wissenssoziologische Essays, 2007; BilderBuch. Poesie, 2012; Selbst Referenz. Gedichte auf dem Plateau, 2014; Der Deutsche Geist – ohne Glauben, Eine postmoderne Verteidigung, 2016; SicherheitsAbstand. Gedichte mit einer Skizze über Abschiede, 2016.
Der Sicherheitsabstand, den an Post- und Bankschaltern ein gelber Strich markiert, ist ein beiläufiges, aber intensives Zeichen unserer Epoche im Westen. Bitte nicht zu nahe treten! Aber eingehalten wird dieses Postulat einer endlich erreichten und nun gut zu bewachenden Eigenständigkeit der Person nur dort, wo der Abstand zum Nächsten als Freizone um den Leib erfahrbar ist. Dagegen wird es in den virtuellen Räumen der Netze derart vergessen, als bestünde es überhaupt nicht. Hier ist keine gelbe Linie zu sehen, nicht einmal eine rote, und die anderen, vor denen das Private zu schützen ist, scheinen in entrückter Ferne. So daß man erst was merkt, wenn man gemobbt wird. Das ist die Rache der verdrängten Gemeinschaft an einem Ich, das sich womöglich überfordert. Aber ist es sich das nicht auch schuldig? So schwierig es sein mag, für sich zu sein und doch dabei – Rauschmittel sind keine Lösung! Nach BilderBuch, worin er seine Welt, und Selbst Referenz, worin er seine Person besichtigt, macht sich der Autor in seinem dritten Lyrikband an die Distanz dazwischen.
Selbst Referenz
Gedichte auf dem Plateau
Marge de liberté – Freiheitsspielraum. Unter diesem Titel, der auf die Möglichkeiten von positiver Freiheit abzielt, die die Kunst in der modernen Großstadt den Menschen eröffnet, präsentieren Susanne Roewer und Daniel Orson Ybarra verschiedenste Werke aus den Jahren 2003 bis 2015. Von Arbeiten auf Leinwand, Glas, Stahl und anderen Materialien über Skulpturen bis hin zu Installationen sind in diesem Band beeindruckende Werke dieser beiden international bekannten Künstler vertreten. Dem Kunstband ist ein Text von Lynn Seraina Battaglia zum Thema der marge de liberté beigegeben, der auf Deutsch, Französisch und Englisch abgedruckt ist. Zu den Künstlern: Die deutsche Künstlerin Susanne Roewer studierte an der Universität der Künste Berlin Bildhauerei und Grafik und stellt regelmäßig in Europa und den USA aus. Sie wird von der Berliner Galerie Kornfeld vertreten. Der aus Montevideo stammende Künstler Daniel Orson Ybarra hat russische und baskische Wurzeln und lebt in Genf und in Barcelona. Ausgestellt hat er in Europa, Lateinamerika, den USA und in Japan. Viele seiner Installationen befinden sich dauerhaft in öffentlichen und privaten Institutionen. Er wird von den Galerien Rosa Turetsky Genève und Laurent Marthaler Montreux vertreten.
BilderBuch
Poesie
In seinem lyrischen „BilderBuch“ vermisst Arnhelm Neusüss den Mikrokosmos eines individuellen Erfahrungs- und Gemütshorizonts wie den Makrokosmos der Menschenhistorie samt dem Fond ihrer Selbstdeutungen. Im unverwechselbaren Stil einer ironischen Klassizität entfaltet sich das nachsintflutliche Panorama der postmodernen Welt unserer Tage in sensiblen Versen voller Anspielungen und Assoziationen. Am besten stellt man sich das lyrische Ich, das sich hier seinen universalen Vers macht, als eine Eidechse vor, die reglos vom warmen Stein auf die nahen Sensationen der Welt wie auf fern ziehende Wolken blickt. Anschauen und Lesen sind zweierlei – daher die Unterscheidung von Bilder- und Lesebuch. Doch lassen sich auch Bilder lesen und Worte anschauen, sogar im selben Zuge, nämlich als die zu Vokabularen geronnenen Vorstellungen von der Welt, die unseren Geist als Phantasmen durchziehen. Es ist Sache der Poesie, sie wieder zur Anschaubarkeit zu verdichten. Als Kondensationsmittel erprobt sie Metaphern. Die Welt ist zum Staunen, mit dem Staunen beginnt das Beobachten, und mit dem Beobachten das Beschreiben. Beschreibung will wahr sein, und auch die Poesie beansprucht Wahrheitsqualität, manchmal sogar monopolistisch. Andererseits fragt sich seit Plato, ob sie überhaupt wahrheitsfähig sei. Schließlich versteht sich das poetische Beschreibungsverfahren selbst nicht als objektive Analyse der Welt, sondern als deren subjektive Imagination. In Imagination aber steckt Magie, und es scheint den Verdacht auf mangelnde Seriosität zu erhärten, dass sie bei der Suche nach Verborgenem gern die methodisch fragwürdige Wünschelrute des Reims einsetzt. Mit ihr durchstreift der Dichter – er ist nicht mehr der Jüngste, woraus sich der materiale und reflexive Reichtum dieses Werks erklärt – den Globus und sein eigenes Leben, das äußere wie das innere. Das Rückgrat bilden zehn Reisebilder (Hellas, Trinacria, Wilder Westen, Andalusien, Ägypten, Karibik, Siam, New York, Byzanz und Toscana), um sie gruppieren sich Verwunderungen, Lob und Preis, Imaginationen und Blicke auf alte Fotografien. So spielerisch dabei aus dem tradierten Fundus lyrischer Formen geschöpft wird, so identisch in ihrer Verwendung ist der Ton. Es ist ein ganz ungewöhnlicher Ton in der gegenwärtigen Lyrikproduktion, der vor deren subtiler Hermetik in gestückelter Prosa altmodisch klingen mag. Doch spricht er gerade auch durch sein eisernes Festhalten am Reim eine breitere Leserschaft an als nur die engeren Zirkel der speziellen Lyrikrezipienten. Die bunten Beigaben schmiegen sich lose an die Themen an und sind Fundstücke des Autors von unterwegs. „Die Lektüre hat mir großes Vergnügen bereitet. Die Form der präzisen Verdichtung war eine gleichermaßen intellektuelle wie ästhetische Freude.“
Der Deutsche Geist - ohne Glauben
Eine postmoderne Verteidigung
Nach allgemeiner Meinung ist der Deutsche Geist, inklusive des jetzt unbekannten deutschen Glaubens, mit dem Nazireich untergegangen. Aber das stimmt nicht. Der unbefangene Blick kann sehen, daß der Geist nicht betroffen war, und auch jener hybrid gewordene Glaube könnte in Schamgefühl und Schuldempfinden indirekt noch immer wirken. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich eine neue Weltepoche etabliert, die Postmoderne, die Dogmen verwirft und Scheuklappen entsorgt: Sie enthüllt eine Geschichte des Deutschen Geistes, seine immer noch lebendige Geistesgeschichte, aus deren Kontinuität sich auch die deutsche Leitkultur als Moment der europäischen speist.
Ein Ausflug ins Gebirge
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Wer den gegenwärtigen Weltzustand mit gebotener Nüchternheit betrachtet, erkennt, dass die Geschichte des Fortschritts zu Ende gegangen und eine Umbildung der Gesellschaftsstruktur abgeschlossen ist – zumindest im Westen. Die Essays von Arnhelm Neusüss untersuchen diese Entwicklung unter der Prämisse, dass Fortschritt sowohl Mythos als auch Realität war. Der Autor beschreibt die Dialektik von Altem und Neuem in gesellschaftlichen Entwicklungen und den theoretischen Modellen, die diese Prozesse erklären. Vom freien Willen bis zur Kontingenz: Die Essays beleuchten die Begriffe, mit denen wir unsere Welt deuten – kompetent, provokativ, poetisch und ironisch. Sie zeigen unser Zeitalter nicht als das Ende der Geschichte, sondern als ein Hochplateau, dessen Zukunftsfelder im Nebel liegen. Die Utopien des Menschheitsglücks sind passé, Ideologien fester Gewissheit hinter uns, und Revolten sind in den Systemen verpufft. Die Kritik hat sich zum moralistischen Meinen reduziert. Dennoch eröffnet sich ein naher Horizont individueller Spielräume, deren Kostbarkeit für das Leben mit der Riskanz ihrer Erhaltung zusammenfällt.