Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Band 8: 20. Jahrhundert (German Edition) , edited by Reiner Wiehl. 1984 paperback published by Reclam. Text in German.
»Bei diesem Buch handelt es sich um eine Studie über den Begriff der Zivilisation und um den Versuch zu verstehen, wie es zur Entstehung zivilisierter Wesen kommt.« A. N. Whitehead Eine fundamentale Rolle spielen dabei Ideen: sie sind mit Emotionen und Zweckvorstellungen verbunden und stellen Antriebskräfte dar, die den Übergang von Gesellschaften und Kulturen bewirken. Dem Abenteuer dieser Ideen, ihrer Aufeinanderfolge und ihrem Kampf, widmet sich Whiteheads Buch, das einen ganz eigenen, spekulativen Beitrag zur Ideengeschichte darstellt.
Karl Jaspers zählt zu den profiliertesten politischen Denkern des 20. Jahrhunderts. Man hat seine politische Philosophie häufig aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus motiviert: der persönlichen Bedrohung, der Gleichgültigkeit des öffentlichen Bewußtseins, dem fast vollständigen Versagen auch der akademischen Institutionen im Dritten Reich. In der Tat sind die Analysen zur Schuldfrage und die Warnung vor neuerlichen totalitaristischen Tendenzen der Bundesrepublik ohne diese Erfahrungen nicht zu verstehen. Dennoch akzentuieren sie nur in besonderer Schärfe einen Zusammenhang zwischen Philosophie und Politik, der für Jaspers immer bestand: „Philosophie ist nicht ohne politische Konsequenzen“, Konsequenzen, die offenzulegen zum Begriff des Philosophierens selbst gehört: „Was eine Philosophie ist, zeigt sie in ihrer politischen Erscheinung.“ Entgegen den vor allem mit dem Stichwort Existenzphilosophie verbundenen Vorurteilen einer bloß appellativen Haltung bezieht Jaspers damit die Politik in exemplarischer Weise auf philosophische Grundlegungsfragen. Der Band enthält neben Beiträgen von Ernst Benda, Klaus von Beyme, Volker Gerhardt, Alfred Grosser, Elmar Holenstein, Hermann Lübbe, Ram Adhar Mall, Kurt Salamun, Hans Saner, Reiner Wiehl und Richard Wisser einen bislang unveröffentlichten Vortrag von Jaspers über „Politische Stinnnungen“ (1917).
Reiner Wiehl zeigt anhand von exemplarischen Einzelstudien, wie Philosophie der Subjektivität und Systemtheorie in bestimmten Kontexten und bezogen auf konkrete Problemstellungen jeweils neue Verbindungen eingehen: In der Wahrnehmungs- und Emotionstheorie, in Reflexion und Ressentiment, in Weltanschauungslehre und Religionsphilosophie sowie in der pragmatischen Philosophie der Wissenschaften. Die Exempla sind absichtlich unterschiedlichen geschichtlichen Kontexten der neuzeitlichen Philosophie entnommen. Die hier versammelten Studien bilden den dritten und abschließenden Band philosophischer Essays zum Zusammenhang von Metaphysik, Anthropologie und Subjektivitätstheorie.
Philosophisches Denken an den Rändern von Natur und Geschichte
Reiner Wiehls Untersuchungen schlagen eine Brücke zwischen Kosmologie und Anthropologie der Zeit. An den Rändern von Natur und Geschichte zeigt sich eine Reihe ungesehener Kombinationen und Permutationen im Zeitbegriff. Sie theoretisch zu entfalten schließt ein, unsere Praxis der Zeit zu bedenken. In systematischen Abhandlungen sowie systematisch pointierten Auslegungen geht es so jeweils darum, Klarheit über die Bedeutung zu gewinnen, die wir der Zeit als konstitutiv-limitativer Bedingung von Welten für unsere selbstverantwortliche Weltorientierung im Denken und Handeln zuzuerkennen haben.
Reiner Wiehl verteidigt die Unauflöslichkeit und Vielschichtigkeit des Zusammenhangs von Metaphysik und Erfahrung. Unter dem Titel »Strukturen« stellen die ersten drei Beiträge des Bandes das analytische Instrumentarium hierzu bereit. Vier weitere Beiträge prüfen sodann die »Distanzen«, die die Philosophie nach Kant zum Erbe der klassischen Metaphysik aufgespannt hat. Es zeigt sich, daß neben unverlierbaren metaphysikkritischen Einsichten auch Verluste an theoretischer Durchdringungskraft stehen, die eine auf die interne Verbindung von Metaphysik und Erfahrung reflektierende Philosophie korrigieren muß. Vor diesem Hintergrund versuchen die letzten drei Beiträge mit Spinoza und Whitehead »Exempla« der Metaphysik weiterzudenken und im Kontext aktueller Fragestellungen der philosophischen Anthropologie und Ethik fruchtbar zu machen.
Von den modernen philosophischen Emotionstheorien ausgehend wird gezeigt, dass der Mensch nicht nur in seiner physischen Natur als unfrei anzusehen ist. Der Mensch leidet nicht bloß an seiner Unfreiheit, sondern sein Lebensgefühl wie sein Gefühlsleben verändern sich, wenn er ein Bewusstsein von seiner Unfreiheit erlangt. Im Gegenzug wird die Frage einer möglichen Freiheit aufgefächert auf dem Boden der Ontologie, der Anthropologie und der Ethik. Als Gesprächspartner werden vor allem vier Philosophen aufgerufen: Spinoza, Nietzsche, Whitehead und Jaspers. Die Aufsätze haben den Charakter von Meditationen, die sich in eine große Tradition meditativer Philosophie (Descartes, Husserl, Wittgenstein) einreihen.