Klaus Kühnel Livres






Landschaften sind wie Menschen; einfach vorhanden und da. Ihre Wirkung hingegen hängt einzig vom Betrachter ab: Was in dem einen Langeweile oder Stumpfheit aufsteigen lässt, beflügelt den anderen zu Begeisterung und Aktivität. Schreibende greifen deshalb zum Stift, um dieses Glücksgefühl für sich selbst festzuhalten und ihre Mitmenschen daran teilhaben zu lassen. Durch dieses unterschiedliche „Zutun“ zur erlebten Landschaft (oder eben eines Menschen) können sowje nach dem Blickwinkel der Dichtenden – in Form und Inhalt vollkommen andere Texte entstehen: Sonette oder freie Rhythmen etwa. Sogar die in der jeweiligen Gegend gesprochenen Mundarten spielen ein Rolle und werden zum Lob der Landschaft hinzugezogen. Nicht verwunderlich also, dass sich Poeten beiderlei Geschlechts um den Erhalt ihrer immer mehr bedrohten Dialekte sorgen und diese Regionalsprachen verwenden, um auch mit diesem Wortschatz ein Gebäude von Lust und Hingabe zu entwerfen. In der vorliegenden Anthologie kommen neunzehn Autor*Innen aus dem Osten und dem Westen Deutschlands mit insgesamt 160 Gedichten zu Wort, die in dieser Zusammenstellung noch nie gemeinsam publiziert wurden. Neben Annerose Kirchner und Ulrike Almut Sandig, Thomas Luthardt und Konstantin Kilger etwa, sind das Eva-Maria Berg und Heide Jahnke, Wernfried Hübschmann und Peter Salomon, sowie Gylfe Matt und Harald Gerlach, um nur einige von ihnen zu nennen. Was für die Schreibenden gilt, trifft genau so auf die bildenden Künstler*Innen zu: Auch hier hat jeder seine Handschrift und seine eigene Sicht auf das Gesehene, weshalb auch vollkommen andere grafische Blätter entstehen können, wenn zwei von ihnen die gleichen Gefilde geschaut und ihren Eindruck davon auf Papier gebracht haben. Denn auch Landschaften wirken (wie Menschen) auf jeden Betrachter anders; jeder bringt auf das Papier, was er – mit dem äußeren und dem inneren Auge – gesehen und entschlüsselt hat. So entstehen vielfältige Sichten – unabhängig von der objektiv vorhandenen Landschaft – die zu in sich schlüssigen Bildern, künstlerisch ausgereiften Zeichnungen und Grafiken formen. Und nicht immer wird dabei offenbar, welche Landschaft die Inspriration gab. Die zehn in der Anthologie vertretenen Künstler sind augenfällige Beweise dafür, ob sie nun schon über neunzig Jahre alt sind, wie Horst Zickelbein, oder noch nicht einmal vierzig, wie Anne Mundo.
Selbst wenn manche von uns nicht glauben, dass Berlin schön ist, Heinrich Heine – von dem wir freilich wissen, dass er Ironie und Spott liebte – ist dieser Meinung schon. Und letzten Endes müssen ja die vielen Touristen aus Deutschland, Europa und Übersee ebenfalls dieser Meinung sein, denn von Jahr zu Jahr machen sich immer mehr auf den Weg in die Hauptstadt. Sie alle wird die Anthologie an die Hand nehmen, damit sie nicht nicht nur die Alte Nationalgalerie oder das Historische Museum im Zeughaus Unter den Linden oder die derzeit angesagteste Eventmeile auf der Warschauer Brücke heimsuchen, sondern auch die „stilleren Gegenden“ um den Tiergarten, den Müggelsee, den Kreuzberg erleben. Spektakel wie Ruhe werden von den Dichtern besungen, von Bildenden Künstlern auf Papier gebannt. Neben so bekannten Poeten aus der Vergangenheit wie Heinrich Heine, Gottfried Keller und Adelbert von Chamisso werden in der Anthologie auch Vergessene zu Wort kommen wie die Frauenrechtlerin Louise Franziska Aston, der Dramatiker Richard Zoozmann oder Ludwig Pfau, ein Revolutionär aus dem Jahre 1848, der seiner politischen Überzeugung wegen mehrmals in Haft genommen wurde. So wird die Gedichtsammlung auch die wechselvolle Geschichte Berlins widerspiegeln und „Ausgrabungen“ enthalten, die in keiner anderen modernen Anthologie über Berlin zu finden sind. Selbstverständlich erhalten auch gegenwärtige Autoren die Möglichkeit, hier ihre Gedichte mit direktem Berlin Bezug zu veröffentlichen. Nicht die Großstadt allgemein, sondern die Metropole Berlin haben sie im Visier. Dabei geht es natürlich nicht um Vollständigkeit und lückenlose Wiedergabe aller jemals geschriebenen Berlin-Gedichte. Große, mit Berlin fast zwangsläufig in Verbindung gebrachte Namen wie Benn, Becher und Brecht fehlen – nicht nur, weil die Rechteinhaber hohe Lizenzgebühren fordern, sondern weil sie in anderen Anthologien hinreichend und fast dominierend vertreten sind. Hier, in „Berlin ist auch eine schöne Gegend“, sind weniger „geläufige“ Dichter enthalten wie Gerd Adloff, Christine Kahlau, Jürgen K. Hultenreich, Helko Reschitzki, Klaus Körner, Richard Pietraß oder Elisabeth Wesuls. Sie sehen Berlin mit ihren Augen, besingen es mit ihren Worten und zeichnen so ein sehr individuelles Bild von Berlin, das uns – im günstigsten Fall – eine vollkommen neue Sicht auf diese Großstadt ermöglicht. Illustriert wird der Band mit 59 Grafiken in Berlin lebender Künstler, verbunden mit einer wirklichen Kurzbiographie der jeweiligen KünstlerInnen des Wortes und der Graphik für alle in der Anthologie enthaltenen Werke.
Denkmale sind in Deutschland ein heikles Thema, da ihre Bewertungen stark variieren. Eine historisch bedeutende Person oder Begebenheit wird selten von allen Deutschen gleich beurteilt, was vor allem von politischen Ansichten und der Toleranz des Betrachters abhängt. Deutschland ist führend in der Anzahl nationaler Denkmale mit vierundzwanzig Stätten, während Länder wie Frankreich und die Türkei nur jeweils eines besitzen. Denkmale reflektieren nicht die Gegenwart oder das Ereignis, dem sie gewidmet sind, sondern den Zeitgeist ihrer Entstehung. Dies erklärt die Vielzahl an Denkmälern, die Wilhelm I. und Bismarck gewidmet sind, im Gegensatz zu der bescheidenen Gedenkstele für den gescheiterten Hitler-Attentäter Georg Elser, die kaum sichtbar ist. Diese Unterschiede stehen im Zusammenhang mit dem staatlich geförderten Mythos der Heldenverklärung, der seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland als Staatsdoktrin gilt. Ein neu entstehender Nationalismus fand seinen Ausdruck in der Gestaltung von Denkmälern. Das Buch untersucht, wie und warum diese Entwicklungen stattfanden und beleuchtet die komplexe Beziehung zwischen Denkmälern, Geschichte und nationaler Identität.
Freiheit du siegst
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Agnes Wabnitz, geboren 1841 in Gleiwitz als Tochter eines Schankwirts, wurde zu einer engagierten Kämpferin für die Rechte der Frauen. Sie forderte politische Gleichstellung, das Frauenwahlrecht und Verbesserungen der sozialen Lage. Als bekannte 'Wanderrednerin' der SPD geriet sie ins Visier der Politischen Polizei. Mehrfach wurde sie wegen Majestätsbeleidigung und Verächtlichmachens der Kirche angeklagt und inhaftiert. Im Gefängnis verweigerte sie die Nahrungsaufnahme, wurde zwangsernährt und in ein Irrenhaus eingeliefert. Am 28. August 1894, kurz vor einer zehnmonatigen Haftstrafe, beging sie auf dem Friedhof der Märzgefallenen Selbstmord. Zu ihrem Begräbnis kamen 45.000 Menschen, die mehr Kränze auf ihrem Grab niederlegten als bei der Beisetzung von Kaiser Wilhelm I. Der sozialdemokratische 'Vorwärts' würdigte sie in einem Nachruf als willensstark und treu bis zum letzten Atemzug. Ihr Schicksal, geprägt von einer krankhaften Neurasthenie, wurde als Ergebnis der Umstände und ihrer Individualität betrachtet. Die 'Post' kritisierte, dass eine Person, die als nicht vollständig zurechnungsfähig galt, so lange als Agitatorin für die sozialdemokratische Bewegung genutzt wurde.
Ida Liefrinck, geboren am 22. Juli 1901 in Arnhem, fand ihren Weg ins Büro des Rotterdamer Stararchitekten J. J. P. OUD, wo sie mit der Kunstrichtung De Stijl vertraut gemacht wurde. In seinem Auftrag entwarf sie Möbel für die Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Sie war Mitglied der avantgardistischen Vereinigungen Opbouw und De 8 und entdeckte ihre Leidenschaft für Rattanstühle, während sie in den Deutschen Werkstätten Hellerau arbeitete. Dort traf sie Alice, die sie dazu brachte, sich Liv zu nennen. Der Elektroingenieur Falkenberg konfrontierte sie mit kommunistischen Ansichten, und als Arbeiter-Samariterin nahm sie an einer kommunistischen Demonstration teil, was zu ihrer Ausweisung führte. Sie heiratete Otto Falkenberg, und das Paar floh 1933 ins holländische Exil, wo Liv als freischaffende Designerin arbeitete. Sie entwarf Möbel und Gläser, die heute noch in Ausstellungen zu sehen sind, und stattete ein Irrenhaus sowie den Tanker Pendrecht aus. Nach dem CIAM-Kongress in Paris, wo sie Picassos „Guernica“ erlebte, kehrte sie nach der Befreiung in ihr Heimatland zurück. Dort half sie beim Aufbau der Leipziger Messe und der Verwaltungsakademie der DDR. Ihre Karriere wurde jedoch durch die diplomatischen Einsätze ihres Mannes in Prag, Neu-Delhi und Moskau unterbrochen. Heute lebt Liv Falkenberg in Berlin.