Ingolf Brökel erkundet das Verhältnis zwischen Leben und Denken mit einem humorvollen Ansatz. Er thematisiert die Nähe von Physik und Lyrik, den Frau-Mann-Dualismus und führt die Fühlosophie ein. Seine Gedanken sind prägnant und aphoristisch, wobei er den Durchschnitt als tödlich betrachtet.
ZEITENWUNDE – Kleine Friedensfibel Brökel wirft wieder die Frage auf: warum Krieg? Als Einstein diese Freud 1932 in einem Brief stellte, antwortete dieser am Ende „… Alles was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.“ Das Buch ist diesem Sinn ganz und gar verpflichtet. In Gedichten und Haiku setzt Brökel die Gedanken um Frieden aus seinem friedenserhaltungssatz (Gedichte, 2020) mit heutigen Sichtweisen fort. Dabei sind die Parallelen zu Brechts Kriegsfibel nicht zufällig.
Der neue Band von Ingolf Brökel ist eine Sammlung von Texten, die ausnahmslos in den Frühstunden des Tages, sozusagen in der Phase des Erwachens „aufgebrochen“ sind. Fragmentarisches und Zufälliges, Andeutungen und Ansätze machen hier immer wieder die Augen auf: neue Einsichten und eigenartige Zusammenhänge. Ein Kaleidoskop, das über das bloße Spiel mit Sinn und Worten hinausgeht und ästhetisch Vorläufiges bietet für einen anderen Weg.
Der Raum, den Ingolf Brökel aus verschiedenen Perspektiven für den Leser öffnet, erweist sich als ein geschichtlicher Raum, in dem ein Ich lyrische Schlaglichter auf entscheidende Stationen seines Werdeganges wirft – von der Nachkriegskindheit über die Sozialisation im Osten Deutschlands, von der Vernichtung seines Heimatortes im Lausitzer Braunkohletagebau über die Erfahrungen und Erkenntnisse der 89‘er Wende- und Nachwendezeit bis zur unmittelbaren Gegenwart. Dabei weitet sich der Themenkreis zunehmend von den nationalen Problemen, Moden und Stimmungen zum Globalen.
Brökel zeigt in seinem Kindheitspoem „zündplättchen oder nach 49“ was “nach 49“ von der Erwachsenenwelt so gespielt wurde-, kurz nach dem Krieg, in einem Brandenburger Dorf, Reflexionen aus dem Osten, die auch in den Westen reichen: seine Kinderjahre, bis zur Einschulung. Dabei erinnert er sich seiner Kinderaugen und -ohren, der Worte und Wendungen von damals, die ihm in den Kindermund gelegt wurden und auf die er sich so seine Verse auf die Welt machte. Fotografien aus dieser Zeit, nach Brökel’s Art, bereichern dieses ungewöhnliche Buch.
Mit dem kühl prüfenden Blick des Physikers betrachtet Ingolf Brökel seit Jahrzehnten das Absurde im alltäglichen Leben und die wechselnden Gemütslagen der Nation. Er spürt in seinen Gedichten den sich wandelnden Moden und Stimmungen nach und streut mit scheinbar leichter Hand kleine Widerhaken ins lockere Epigramm-Geplänkel, agieren Figuren in Porträts und Rollengedichten zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung. Ein jäher Dreh der Sprache öffnet den Blick für die Gleichzeitigkeit von Heiterkeit und Grauen. Ein Denkvergnügen für unabhängige Geister. Als Physiker und Dichter hält er sich an das Exakte. Wo scheinbar Stillstand herrscht, erkunden die Gedichte des im Senftenberger Braunkohlenrevier Geborenen Bewegung, Er bringt menschliche Verhaltensweisen und gesellschaftliche Prozesse in epigrammatischer Kürze auf den Punkt. Das Ich begreift sich nicht als Maß aller Dinge; es befindet sich im Dialog mit dem Leser über Gesehenes, Gehörtes, Gefühltes und Gedachtes. Beim Spaziergang durch Wortschatz, Grammatik und Rechtschreibung der deutschen Sprache riskiert Brökel kuriose Gratwanderungen, klopft Witz aus zwischenmenschlichen Verhältnissen und aus Augenblicken Komik.