Tugend und Autonomie
Die literarische Modellierung der Tochterfigur im Trauerspiel des 18. Jahrhunderts
Die detaillierte Analyse der Tochterfigur in 18. Jahrhundert-Texten eröffnet neue Perspektiven auf kulturelle Konstruktionen des Weiblichen. Im deutschen Trauerspiel dieser Epoche repräsentiert die Tochterfigur einen bürgerlichen Sozialcharakter, der zwischen Archaisierung und moderner Affektpsychologie oszilliert. Sie steht als Projektionsfigur für Individualitätsentwürfe im Mittelpunkt, insbesondere im bürgerlichen Trauerspiel, wo sie als schwächstes Familienmitglied besonders geeignet erscheint, das Individuum innerhalb gesellschaftlicher Machtstrukturen literarisch abzubilden. Martina Schönenborn verbindet erstmals die Untersuchung kanonischer Werke mit der Erschließung weitgehend vergessener Texte. Durch die Einbeziehung dramatischer Werke von Schriftstellerinnen sowie anonym veröffentlichter Trauerspiele wird der literaturwissenschaftliche Kanon erweitert, was einen differenzierteren Zugang zu Dramen des 18. Jahrhunderts ermöglicht. Anhand exemplarischer Textanalysen bietet die Autorin einen Überblick über verschiedene Inszenierungen geschlechtsspezifischen Sozialverhaltens und die damit verbundenen Projektionen und Idealisierungen. Die Analyse der Tochterfigur ermöglicht die Bestimmung neuer, gattungsgeschichtlich relevanter Merkmale kultureller Konstruktionen des Weiblichen. Untersucht werden Werke wie Lessings „Miss Sara Sampson“, „Emilia Galotti“, Klingers „Das leidende Weib“ und Goethes frühe Fassung des „Faust“.
