In einem New Yorker Wolkenkratzer wird ein Richtfest für zwei Frauen und zwei Männer zum Wendepunkt ihrer Karrieren, als der Aufzug plötzlich stecken bleibt. Eingeschlossen in der metallenen Box, verwandeln sich ihre zynischen Gespräche und derben Witze schnell in eine existenzielle Auseinandersetzung mit dem Tod. In diesem albtraumhaften Szenario entfalten sich verletzte Eitelkeiten und die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Die Situation zwingt die Protagonisten, sich mit ihrer Menschlichkeit und den Traumata ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Die Suche nach Michael, einem jungen Mann mit einem mysteriösen Schicksal, steht im Mittelpunkt der Geschichte. Seine Eltern, Fenya und Joon, versuchen, die Wahrheit hinter seinen Feldpostbriefen zu entschlüsseln, die Fragen über sein Verschwinden aufwerfen. Ob er in Afghanistan gefallen, im Elbsandsteingebirge verloren oder als Söldner auf Spitzbergen lebt, bleibt ungewiss. Die Briefe könnten Fälschungen sein, was die Spannung und Unsicherheit über Michaels Verbleib verstärkt.
Sie leben von steigenden Aktienkursen und glorreichen Richtfest-Reden, für die einflussreiche New Yorker Baulöwen sie engagieren. Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs, in Form gehalten von schicker Designerware und künstlich beatmet von den Sprechblasen antrainierter Superhelden-Egos. Als zwei Paare im Lastenaufzug eines neuen Wolkenkratzers festsitzen, bleiben sie auch in der automatisierten Warteschleife nach der Beantwortung des Lebenssinns stecken. Der stählerne Käfig als Druckkammer, in dem die Luft zum Atmen zwar immer knapper wird, eine Phantasmagorie dafür umso surrealer oszillieren darf, je heftiger sich die Protagonisten in sie hinein imaginieren. Thomas Herget lässt ein Quartett hoch über den Straßen von Downtown Manhattan über sich selbst richten und in eine dampfende Crime-Soap an der mexikanischen Grenze hinabtauchen. Elaboriertes Kopfkino im Schatten der Pandemie als nie versiegende Quelle, der aufscheinenden Fratze des Todes das Wasser abzugraben? Weit gefehlt. In der Hermetik eines Betonschachts findet die Fiktion in Zeiten des Corona-Virus jetzt in exzessiven Demütigungsritualen und Selbstverstümmelungen ihre pervertierte Entsprechung. "Kalium" zeigt die seelischen Verwüstungen in digitalen Zeiten umso eindringlicher, weil sie mit dem Make-up der Lebenslüge ständig übertüncht werden. Das Hörspiel entstand nach der Vorlage von Hergets Theaterstück "Wir aßen sie roh".
Weil man im Park auf eine alte Fliegerbombe gestoßen ist, sollen ausgerechnet die Bewohner eines Sterbehospizes evakuiert werden. Plötzlich wandelt sich der Ort würdevoller Abschiede zu einem seelenlosen Verschiebebahnhof für Todgeweihte auf der Flucht. Indem sie sich der grotesken Behördenanordnung widersetzen, gewähren uns Herr Schall und Frau Rauch kurze Momentaufnahmen des Wahnsinns, facettenreiche Sinnbilder für den ewigen Lebenshunger des Herzens inmitten der Entfremdung. Schall fickt Kinder und verspricht sich Erlösung in der Hölle, Rauch hat ihren sechzehnjährigen Sohn "abgetrieben" und Krebs im Endstadium. Das Hördrama "Und stillet den Zorn" entführt als absurd-beklemmende Vision in eine havelsche Welt, der die magischen Momente letzter Taten und Worte abhandengekommen sind. Dass sich Schall und Rauch am Ende in einem Akt zivilen Ungehorsams ihre private Nähe über das Mysterium der Imagination zurückholen, verdanken sie ihrer anarchischen Lust beim Erfinden utopischer Geschichten - und dieser irre Spaß kann hier getrost als eine lebensverlängernde Maßnahme verstanden werden. Das titelgebende Hörspiel wurde für diese Buchausgabe um zwei Kurzprosatexte des Autors ergänzt. "Mein Freund Muffin" und "Das Geheimnis der Wale" sind Shortstorys aus den Achtzigerjahren.
Grigori Perelman ist gelandet. Von seinem ehemaligen Professor und freundschaftlichen Förderer Sergej mit dem Fallschirm über dem Stadttheater abgesetzt, hat der berühmteste Mathematiker der Welt das Schauspiel gewaltsam unter seine Kontrolle gebracht und hält die Zuschauer als Geiseln gefangen. Niemand soll entkommen, wenn die Dynamitladungen den Kulturbunker in ein Massengrab verwandeln. Weltekel bestimmt das Handeln des spleenigen Rechengenies bei der Suche nach der Weltformel, die Regie führt in diesem Endzeittheater aber längst der Tod. Thomas Herget hat mit „Revolverfressen“ ein Monster geschaffen, einen Monolog, der als vielstimmig-fröstelndes Kammerspiel die mannigfach-düsteren Zeitebenen durchschreitet, auf denen die irregeleitete Hauptfigur in selbstsezierender Weise die Dekadenz des Kulturbetriebs und der in ihm Handelnden ad absurdum führt. Perelman geriert sich in diesem Theater im Theater nur vordergründig als ein von Katharsis durchdrungener Weltenretter, nachdrücklicher wütet er als inkarnierter Schlächter seiner selbst. Bevor in diesem Traumspiel der letzte Vorhang gefallen ist, schält sich hinter der Maske des genialen Berserkers langsam die kranke Seele eines gebrochenen Schauspielers heraus, der den letzten Akt als Rachefeldzug für eine apodiktische Privatvorstellung nutzt.