Derzeit existiert kein soziologischer Begriff kommunikativer Vernunft, der für empirische Forschung geeignet wäre. Diese Soziologie der Deliberation füllt diese Lücke, indem sie die Realität kommunikativen Handelns ernst nimmt. Sie erkennt die Rationalität des Austauschs von Gründen an und ist sich bewusst, dass Argumente oft zu Streit führen. In enger Verbindung von empirischer Problemstellung, Theoriekritik und theoriekonstruktiver Arbeit entwickelt Fabian Anicker eine allgemeine Prozesstheorie kommunikativer Handlungskoordination, die ihre Leistungsfähigkeit in der empirischen Deliberationsforschung unter Beweis stellt. Anicker gelingt der notwendige, aber herausfordernde Spagat zwischen Grundlagentheorie, themenbezogener Theoriebildung und empirischer Überprüfung auf überzeugende Weise – besonders in einer Zeit der Spaltungen, auch innerhalb der Soziologie. Die soziologische Konvention, sich mit der Habermas’schen Theorie des kommunikativen Handelns zu begnügen, wird hinterfragt: Anicker zeigt, dass eine normative Theorie kommunikativer Vernunft ohne Verlust an analytischer Schärfe mit einer empirischen Soziologie der faktischen Deliberation kombiniert werden kann.
