Die vorliegende Studie zeigt, dass Aristoteles eine originelle Konzeption der Zurechnung entwickelt, auch wenn er noch über keinen Ausdruck für Zurechnung verfügt. Die Frage nach der Zurechnung ist zu verstehen als die Frage danach, (i) unter welchen Bedingungen und zu welchem Grad Handlungen einem Akteur als seine eigenen Handlungen, für die er (moralisch) verantwortlich ist, zurechenbar sind und (ii) inwieweit ein Akteur auch für seine Dispositionen, die seinen Handlungen zugrunde liegen, verantwortlich ist. Aristoteles’ Konzeption ist innovativ, weil er Willentlichkeit weder als notwendige noch als hinreichende Bedingung für Zurechenbarkeit erweist und weil er nicht nur Handlungen, sondern auch Dispositionen, die Handlungen zugrunde liegen, als Zurechnungsgegenstände auffasst. Die Studie macht die Vielschichtigkeit und Graduierbarkeit des aristotelischen Zurechnungsbegriffs sichtbar, indem sie die Konzeption der Zurechnung auf besondere Arten von Handlungen wie z. B. plötzliche Handlungen, Handlungen aus Zorn (thymos) oder akratische Handlungen anwendet. In systematischer Hinsicht stellt die Studie Bezüge zu Gegenwartspositionen her und zeigt, dass die aristotetelische Position auch für aktuelle Debatten anschlussfähig ist.
Be atrice Lienemann Livres


Die Argumente des Dritten Menschen in Platons Dialog 'Parmenides'
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Die beiden »Argumente des Dritten Menschen« in Platons Dialog Parmenides sind entscheidend für die Ideenkritik, die sich gegen die von Sokrates in den mittleren Dialogen entwickelte Ideenhypothese richtet. Sollten die Einwände stichhaltig sein, würde dies bedeuten, dass Platon Schwierigkeiten mit der Ideenhypothese erkannt hat und gezwungen ist, sie zu modifizieren oder aufzugeben. Die Meinungen über die Argumente variieren stark: Einige betrachten sie als Ironie oder Witz, während andere sie als ernsthafte Einwände auffassen und behaupten, Platon habe nach dem Parmenides die Ideenannahme aufgegeben. Eine überzeugende Position, die auch in der Studie vertreten wird, sieht die Argumente als ernstzunehmende Einwände, die Platon jedoch parieren könnte. Die Arbeit beginnt mit formal gültigen Rekonstruktionen der Argumente und untersucht anschließend die beiden impliziten Annahmen – die »Selbstprädikationsannahme« und die »Nichtidentitätsannahme«. Es wird analysiert, ob Platon diese Annahmen vertreten hat, wie sie zu verstehen sind und welche Änderungen er hätte vornehmen müssen, um die Regressargumente zu widerlegen. Dabei zeigt sich, dass beide Annahmen Platon zu Recht zugeschrieben werden können. Das zweite Argument, das den Vergleich zwischen Ideen und ihren Teilhabern behandelt, beleuchtet, wie die Nichtidentitätsannahme oder die »Eines-über-Vielem«-Annahme interpretiert werden müssten, um die Argumente zu entkräften.