Der Essay stellt zum ersten Mal die poetische Figur der Passantin in ihrer Serialität aus und bestimmt ihre Theoretisierbarkeit: Von Dante über Baudelaire, Freud, Breton, Proust bis Joyce werden Szenen des Vorübergehens als Inszenierung einer zugleich ästhetisch wie theoretischen Erscheinung analysiert. Als Nachbilder verweisen die Passantinnen auf nichts als sich selbst, auf ihr Gehen und Reden und somit auf die sie begründende Diskursivität, deren Aporien sie zur Schau stellen. Indem sie den Diskurs aufführen, werden sie zum Symptom einer Differenz zwischen Erkenntnis und Erscheinung, Ästhetik und Epistemologie. Denn die Passantin gibt es nicht. Es gibt immer nur die Vervielfältigung eines diskursiven Phänomens, das im dauernden Verweis auf seine Figuralität die Serialisierung der Passantin buchstäblich in Gang hält.
Cornelia Wild Livres



Göttliche Stimme, irdische Schrift
Dante, Petrarca und Caterina da Siena
Im Liebesdiskurs des Trecento und seinen bedeutendsten Texten wird ein Gesang, eine Rede inszeniert, die den Ort des Sprechens des Subjekts nicht nur spiegelt, sondern zu diesem immer schon different ist: durch eine andere, heteronome Stimme, die den Liebesdiskurs zurückwirft und reflektiert, aber in dieser Spiegelung nicht das Gleiche wiederholt, sondern zu einer zweiten Sprache der Liebe wird. Am Schnittpunkt zwischen dem Irdischen und Göttlichen hat damit die weibliche Figurenrede die Reversibilität von göttlicher Stimme und irdischer Schrift möglich gemacht, die der von den Texten behaupteten oder ihnen nachträglich zugeschriebenen Autorität und Selbstermächtigung zugrunde liegt. Davon ausgehend schreibt die Studie an einer Geschichte der Stimme, in der die poetische Macht der tre corone durch selbstlosere Stimmen zugleich unterlaufen und konstituiert wird: der Stimmen von Beatrice, Laura und Caterina da Siena, die durch den Ruhm des Autors letztlich nur unvollständig überschrieben worden sind.
Baudelaire, die wichtigste Inaugurationsfigur der Moderne, hat an Bedeutung nicht verloren. Eher könnte man sagen, dass sie in ihren unterschiedlichen Akzentuieren wie Selbstzuwendung, Machtanspruch, Dandytum, Got-tesferne, Männlichkeit und Ruin gegenwärtig geblieben ist. Die allseits umgreifenden melancholischen und ressentimentiven Missverständnisse machen allerdings eine Bestandsaufnahme nötig, die im Anschluss an Benjamin und Foucault das Verhält-nis der Literatur und des Subjekts zur Macht in unterschiedlichen Zuständen reflektiert. Deren Fa-cetten Selbstermächtigung, Ar-beit und Hygiene, Diätetik, Rekonvaleszenz, Kindheit, cura sui, Athletik oder pharmakon begreift die Studie als Möglichkeiten der Reflexion einer Herrschaft über sich selbst. Die konstitutiven Figuren der Machtaneignung und ihrer Durchkreuzung, verweisen auf Baudelaires Nähe zu Augustinus, die in den Verwerfungen des Ichs den Spielraum testen, über den das Subjekt im Verhältnis zur Macht verfügt.