Göran Gnaudschun fotografierte von 2010 bis 2013 die Szene auf dem Berliner Alexanderplatz, die aus Gestrandeten und Ausreißern besteht, aus Obdachlosen, Randexistenzen und Selbstdarstellern. Viele nehmen Drogen, alle trinken. Der Alexanderplatz ist für sie eine Art zu Hause. Sie entkommen so der Vereinsamung und holen sich ihren Teil Geborgenheit, wobei Zärtlichkeit und Gewalt eng beieinander liegen. Gnaudschun war vor Ort, baute Kontakte auf, um Portraits und situative Aufnahmen zu machen, um Interviews zu führen und Erlebtes in eigenen Texten zu verdichten.
Fragen nach dem Glück einer Gesellschaft. Während seiner Zeit in der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo hat Göran Gnaudschun (geb. 1971) weniger das Postkarten-Rom, so wie es von Millionen Touristen bereist wird, mit seiner fotografischen Linse festgehalten. In der Serie „Are You Happy?“ richtete der Künstler seinen Blick stattdessen auf die östlichen Randgebiete der Ewigen Stadt und ihre Bewohner*innen. Diese leben auf sehr engem Raum; ihre Wohnblocks sind umgeben von Brachland. Nur einige Meter stadteinwärts erstrecken sich junge, trendige Wohnviertel, die durch die antike Stadtmauer von der Peripherie abgeschirmt sind. Gnaudschun flanierte durch die Hochhauskomplexe und Investruinen der sogenannten Problembezirke. Mit der Konkretheit seiner Porträts und dem Blick auf das Atmosphärische der kargen Architektur der den Ostteil Roms prägenden Stadtlandschaft analysiert Gnaudschun das alltägliche Dasein, den urbanen Lebensraum und die Organisation von Lebenszeit. Die Texte schrieben Emilia Giorgi, Göran Gnaudschun, Yvonne Dohna Schlobitten und Marie-Amélie zu Salm-Salm.
Göran Gnaudschuns neue Arbeit „Mittelland“ ist im Jahr 2015 in Hannover während des „HannoverShots-Stipendiums“ entstanden. Gnaudschun wollte Normalität und das Leben von gewöhnlichen Menschen zeigen: ohne Aufgeregtheiten, ohne große Show und ohne lange Geschichten. Auf der Suche nach dem Inneren der Gesellschaft ist er bei den einzelnen Menschen angekommen. Alle für sich eigen, sehr verschieden mit ihrer Prägung, ihrer Haltung zum Leben, ihren Wünschen und Erwartungen. Frauen und Männer aller Altersstufen, Kinder und Jugendliche schenkten dem Fotografen ihr Vertrauen und standen ihm Porträt in ihrem privaten Umfeld, auf Straßen und Plätzen. „Jemand ist da, der offen genug ist, sich fotografieren zu lassen. Nur für mich. Ich habe einen Vertrauensvorschuss von anderen und ich warte beim Fotografieren darauf, dass sich etwas zeigt. Etwas, das in jedem von uns ist und nur manchmal sichtbar wird. Etwas, das unsagbar ist, was sich der Eindeutigkeit verweigert. Ich merke, wenn es da ist.“, so Göran Gnaudschun. Er möchte mit seinen Fotos niemanden charakterisieren oder auf narrativer Ebene Eigenheiten erkennbar machen. Es geht ihm um etwas Tieferliegendes, allgemein Menschliches. Der lange, intensive Porträtprozess verändert die Menschen und lässt sie etwas offenbaren, das sich in Gnaudschuns Bildern wiederfindet – als ginge es in jedem Bild ums Ganze, um die Gegenwart und das Dasein.