Die Vielfalt des Seins
Warum jeder Monismus scheitern muß





Warum jeder Monismus scheitern muß
Leonardo da Vinci formulierte eine der wesentlichen Einsichten der Anthropologie, als er einen Hinweis darauf gab, wie man das Portrait eines Menschen anfertigt:„Lasse niemals zu, daß der Kopf auf dieselbe Seite gedreht ist wie die Brust, und den Arm wende nie in dieselbe Richtung wie das Bein“. Als Maler zielte er damit auf die Vieldeutigkeit des menschlichen Ausdrucks. Weil sich der Wille als etwas Negatives auf den Menschen zurückrichtet und seine Natur zähmt und beherrscht, ist sein Ausdruck immer dann besonders bedeutungsvoll, wenn er von zwei gegenläufigen Bewegungen bestimmt wird. Für den Menschen ist es dehalb typisch, daß seine Bewegungen einander gelegentlich negieren können. Diese Einsicht bezeichnet Stefan Diebitz dem Maler zu Ehren als „Leonardos Entdeckung“. Sie ist der Ausgangspunkt seiner Überlegungen, die sich besonders mit dem Gesicht und dem Zusammenhang von Moral und Ausdruck beschäftigen. Ausdruck bestimmt nicht allein unsere Wahrnehmung von Mensch und Tier, sondern auch die der toten Natur oder der Pflanzenwelt. Denn immer setzt sich die Wahrnehmung aus einer Fülle von Sinneseindrücken zusammen, die von vornherein Gestaltcharakter haben, so daß für uns auch die eigentlich tote Natur Ausdruck zeigt. Die Uneindeutigkeit des Ausdrucks ist ein Grund für die Ablehnung aller monistischen Theorien, auch, ja besonders in der Moral. Moral und Ausdruckserleben gehen immer von dem Erlebnis eines Ganzen aus.
Kennt das Leben Stufen der Entwicklung? Unterscheidet sich das Tier prinzipiell oder allein graduell vom Menschen? Was bedeutet das für unser Selbstverständnis, besonders aber für die Moral? Stefan Diebitz beschreibt anschaulich und systematisch das Verhältnis der verschiedenen Formen des Lebens. Im Rückgriff auf Philosophen wie Nicolai Hartmann, Max Scheler und Helmuth Pleßner sowie auf Biologen wie Adolf Portmann und Hans Driesch zeigt der unkonventionelle Denker, welche Wege das Denken heute beschreiten kann – Denkwege, die gleichermaßen die Irrtümer der plumpen Nützlichkeitsphilosophie wie der verklärten Esoterik vermeiden. Mit Blick auf die grundlegenden Probleme der Ethik entwickelt Diebitz eine Philosophie des Ausdrucks, die Gefühle wie Scham und Stolz, Angst und Sehnsucht wieder in den Horizont des Denkens rückt.
Wohl selten in ihrer Geschichte war die Philosophie so kraftlos und müde wie heute, aber noch nie war sie in der Öffentlichkeit so präsent. Der Preis für die Popularität besteht darin, dass Philosophie nur noch die kompliziert begründete Bestätigung dessen ist, was ohnehin jeder denkt, und Philosophen sich allein damit beschäftigen, die Generalüberzeugungen unserer Zeit „voraussetzungslos“ zu begründen. Philosophen sind nurmehr Handlanger und willige Erfüllungsgehilfen von Evolutionsbiologen, Psychologen und Gehirnforschern, die das Bewusstsein und die Willensfreiheit für ein Märchen erklären möchten. Der Autor führt die Schwächen der heutigen Philosophie anhand ihrer populärsten Themen – Ethik, Bildung, Erziehung und Menschenbild – schonungslos vor Augen und zeigt, wo engagierte Philosophie heute wieder anknüpfen könnte.