Bernward Vesper und Gudrun Ensslin verbrachten die prägenden Jahre ihres Lebens in Tübingen, "wo sich so vieles entschieden hatte", wie Vesper später resümierte. Der spätere APO-Aktivist und die künftige RAF-Terroristin lernten sich am Anfang ihres Studiums in Tübingen kennen und engagierten sich schon bald gemeinsam in äußerst widersprüchlichen Aktivitäten. Zum einen gründeten sie den kleinen avantgardistischen Verlag "studio neue literatur", zum anderen betrieben sie die Herausgabe der gänzlich vorgestrigen Werke Will Vespers, des Nazi-Dichters.§§Michael Kapellens Buch "Doppelt leben" bringt nun eine ganze Fülle bislang unveröffentlichter Texte und Dokumente aus Vespers und Ensslins Tübinger Zeit, es ermöglicht somit einen differenzierteren Blick auf beider Biographien - und erzählt damit gewissermaßen eine Vorgeschichte der '68er und auch ein erstes Stück aus der Motivgeschichte der RAF.§Neben Briefen und Photographien werden in Michael Kapellens biographischem Essay erstmals auch einige frühe literarische Arbeiten Vespers beigebracht, die seine Ambitionen, sein Talent als Autor und auch seine inneren Widersprüche auf sehr eindrucksvolle Weise illustrieren.
Michael Kapellen Livres


Bernward Vesper (1938–1971) verbrachte drei prägende Jahre, von 1961 bis 1964, als Student in Tübingen. Die Tübinger Zeit des APO-Publizisten, dessen postum veröffentlichter autobiografischer Romanessay ›Die Reise‹ nach seinem Erscheinen schnell zum Bestseller wurde, ist durch widersprüchliche Aktivitäten gekennzeichnet. Zum einen versucht er vergeblich, eigene literarische Manuskripte bei Verlagen unterzubringen, plant die Herausgabe einer literarischen Zeitschrift und gründet 1963 das ›studio neue literatur‹, in dem Avantgarde-Literatur verlegt werden soll. Zum andern beginnt er nach dem Tod seines Vaters, des Nazi-Schriftstellers Will Vesper, dessen Werke herauszugeben und für sie in der nationalistischen Presse zu werben. All diese Aktivitäten unternimmt er ab 1962 gemeinsam mit seiner späteren Verlobten Gudrun Ensslin, die er auf einem Tübinger Burschenschaftsfest kennengelernt hat.