Der Kino ist eben in erster Linie für die modernen Menschen da
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In ihrer über Jahrzehnte sträflich ignorierten Dissertation „Zur Soziologie des Kino“ aus dem Jahr 1914 gibt Emilie Altenloh eine erste umfassende Beschreibung der zeitgenössischen Filmproduktion, -distribution und -konsumption. Die Schülerin von Alfred Weber verortet das neue Medium funktional in der modernen Kultur der Industriegesellschaft. Die Altenloh-Rezeption hat bis dato schlechterdings nicht die dezidiert übergreifende Argumentationsstrategie dieser film- und mediensoziologischen Grundlagenschrift avant la lettre erkannt. In Anbetracht dessen nimmt Christian Filk eine medienwissenschaftliche und wissenschaftshistorische Re-Lektüre von „Zur Soziologie des Kino“ vor. Dabei würdigt er die besondere wissenschaftliche Leistung Altenlohs, die als erste die Potenz und Funktion der damals neuen Unterhaltungsformen des Kinos – produktions- und konsumptionsüberschreitend als Phänomen gesellschaftlicher Interaktion – analysierte und interpretierte.
Seit einigen Jahren mehren sich in der Forschung medien- und kommunikationshistoriografische Entwürfe. Ein nicht geringer Teil dieser Arbeiten versucht sowohl über einzelne geschichtliche Epochen und Phasen als auch über einzelne Medien und Informations-/Kommunikationstechnologien (IuK-Techniken) hinauszugehen. Trotz oder gerade wegen einer nicht zu leugnenden Konjunktur auf diesem Gebiet nehmen sich die relevanten Wissenschaftsdiskurse – nach wie vor – weithin als Gemengelage aus. Das Spektrum reicht von singulären und integrierten Medien-, Kommunikations- und Technikgeschichten über Funktions-, Kultur- und Zivilisationsgeschichten bis hin zu Institutions-, Programm- und Genregeschichten von „Medien“. Als Disziplin eigener Art hat sich weder Medien- noch Kommunikationsgeschichte bis dato wirklich etablieren können. Der Untersuchung obliegt, weder mediale Phänomene als solche zu identifizieren und zu analysieren noch die klassische oder formale Logik von syntaktischen Begriffs- und Aussagesystemen hinsichtlich Theorien und Methoden zu explizieren und zu evaluieren. Die primäre Intention fokussiert sich vielmehr auf (Selbst-)Beobachtungs- und (Selbst-)Beschreibungslogiken.
Max Picards Geschichtsphilosophie, Medientheorie und Kulturkritik
Filk portraitiert in seinem Aufsatz den schweizerischen Schriftsteller und Kulturphilosophen Max Picard (1888?1965) und verdeutlicht damit, dass sich aktuelle Medienforschung nicht nur auf sozial- und kommunikationswissenschaftliche Ansätze stützen, sondern auch das (historische) Wissen der Kulturwissenschaften bzw. der Medienphilosophie berücksichtigen sollte. Filk zeigt, dass Picard sogar als „‚Medienphilosoph‘ avant la lettre“ gelten kann, indem er dessen Radiotheorie, in der bereits „medientheoretische Konzepte der ‚Manipulation‘, ‚Simulation‘ und ‚Konstruktion‘“ anklingen, betrachtet. Als eine von der Medienwissenschaft übersehene bzw. vernachlässigte Quelle gewinnt Picards Werk somit wieder Relevanz und Bedeutung. Filk gelingt es, Picard gerade im Hinblick auf „aktuelle historische Rekonstruktionsbemühungen medien(kultur)wissenschaftlicher Diskurse“ neu zu lesen.
Jede Auseinandersetzung mit Kunst, sei sie produzierend, rezipierend oder affizierend, führt zur Kunsterfahrung. In dieser Erfahrung sind die grundlegenden Entscheidungen bereits getroffen, ob das Wahrgenommene ein Gefühl, Geräusch oder Eindruck bleibt oder als Kunst verstanden wird. Kunst existiert nicht unabhängig vom Beobachter, sondern ist die imaginierte Realität des Beobachters. Diese Sichtweise erfordert einen radikalen Beobachterstandpunkt, der die Frage von „Was ist Kunst?“ zu „Wie ist Kunst möglich?“ wandelt. Dies führt zu einem Perspektivenwechsel vom Werk zum Beobachter und fragt nach den Bedingungen, unter denen Kunst entsteht und welche Rolle sie in der Gesellschaft spielt. Kunst hat eine zentrale Funktion, da sie das scheinbar unüberbrückbare Verhältnis von Wahrnehmung und Kommunikation überwindet. Sie macht Wahrnehmung für Kommunikation verfügbar, indem sie Wahrnehmbares inszeniert und dem Beobachter Anlässe zur Wahrnehmung bietet. Die Autorinnen und Autoren diskutieren diese Problematik kritisch aus epistemologischen, differenztheoretischen, ästhetischen und diskurshistorischen Perspektiven. Die Beiträge stammen von verschiedenen Fachleuten, die sich intensiv mit diesen Themen auseinandersetzen.
Systemtheoretische Studien zur Wissenschaftsforschung eines transdisziplinären Feldes
Die Studie unternimmt den Versuch, die jüngere Geschichte der hoch dynamischen Medienwissenschaft mittels einer systemtheoretischen Wissenschaftsforschung zu analysieren. Dabei werden nicht nur einzelne Forschungsrichtungen innerhalb der Formierung einer medienwissenschaftlichen Episteme strukturell nachgezeichnet, sondern darüber hinaus auch auf die Realisierung (post-)klassischer Differenzierungsschemata im Wissenschaftssystem hin befragt. Durch die Untersuchung von (Selbst-)Beschreibungslogiken in diesem kognitiven Feld leistet der Band nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion transdisziplinärer Wissenschaftskulturen.
Konturen einer physiologischen Medienästhetik
Der Band Media Synaesthetics untersucht die Wechselwirkung und das Zusammenspiel zwischen Medien und Sinnen. Die Autorinnen und Autoren diskutieren theoretische Konzepte zur Synästhesie der Wahrnehmung und setzen sich mit synästhetischen Spielformen der künstlerischen Praxis auseinander. Media Synaesthetics ist darauf angelegt, die medialen Koppelungen der Sinne und Affekte, das heißt: Konturen einer physiologischen Medienästhetik, zu markieren. Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei weniger auf anthropologische Konstanten oder Sinneshierarchien als auf Inszenierungsweisen, Überschneidungen und Umbrüche der Sinne, auf mediale Anatomien und Schnittstellen der Einbildungskraft.